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Bernhard Casper

Zur Einführung in eine Aussprache zwischen Martin Buber und Emil Brunner (1928)

Bei der Aufarbeitung des Nachlasses von Dr. Ernst Michel,1 der zum Kreis um das Freie Jüdische Lehrhaus in Frankfurt und um die Zeitschrift „Die Kreatur“ gehörte, wurde die maschinenschriftliche Niederschrift eines Gespräches zwischen Martin Buber und Emil Brunner  gefunden.2 Es handelt sich hier ohne Zweifel um eines der wichtigsten dokumentierten Gespräche zwischen Martin Buber einerseits und einem christlichen Theologen andererseits, die in unserem Jahrhundert stattfanden. Zudem führt dieses Gespräch in Fragen hinein, die am Ende unseres Jahrhunderts eher noch dringlicher geworden sind. Und es gibt Anlaß, das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum im Lichte gerade auch des Verhältnisses, in welchem beide zu allen andern Menschen auf diesem unserem Erdball stehen, neu zu bedenken.

Buber hielt am 17. Juni 1928 in Zürich einen Vortrag „Der heutige Mensch und die biblische Geschichte“, der überarbeitet später unter dem Titel „Der Mensch von heute und die jüdische Bibel“ veröffentlicht wurde.3 Am selben Tage fand im Hause des Psychotherapeuten Hans Trüb4 eine Aussprache zwischen Martin Buber und Emil Brunner statt, die offensichtlich mitstenographiert und später in Maschinenschrift übertragen wurde.

Als Gesprächspartner stehen sich dabei gegenüber einerseits Martin Buber und sein „Kreis“ (26), — Buber nennt ausdrücklich den Cohenschüler Paul Natorp, den Juristen und christlichen Sozialisten Florens Christian Rang, aber auch Friedrich Gogarten und Romano Guardini (27) —, und andererseits die dialektische Theologie, auf die Buber zugeht in der Gestalt des jungen Emil Brunner, der damals gerade sein berühmtes Werk „Der Mittler“ (1927) veröffentlicht hatte.

Das Gespräch ist kein Streitgespräch. Vielmehr ist es ein Gespräch, das bewegt ist von einer gemeinsamen Frage, die Buber gleich in der Eröffnung des Gespräches expliziert. Es ist die „ernsteste“ Frage, in welche sich denkende Menschen durch die Erschütterungen des Ersten Weltkriegs damals hineingerissen fanden und die heute, nach den grauenvollen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts insgesamt, noch schwerwiegender geworden ist: Woher legitimiert sich menschliches Handeln? Gibt es in den Verstrickungen dieser unserer Geschichte überhaupt ein „letztgültiges menschliches Handeln“ (27) oder ist nicht alles Handeln seinem Wesen nach immer schon „problematisch gebrochen“? (26)

Daß Martin Buber mit dieser Frage „am Abgrund“ gerade auf Emil Brunner zugeht, der damals noch ganz im Horizont der dialektischen Theologie dachte, hatte seinen Grund offenbar darin, daß Buber in der Position Karl Barths, der dem Menschen außerhalb des offenbarenden Heilshandelns Gottes jede Fähigkeit zum wirklich Guten radikal absprach, ein Stück Wahrheit sah. Aber was Buber beunruhigt, waren die „andern“, die „Heiden“ (48), die, mit denen Gott doch in Noah den Bund geschlossen hatte (50), das Problem des „planetarischen Menschen“ (35). Buber bildet hier 1928 bereits einen Begriff, der uns heute überaus hellsichtig erscheint. In diesem Begriff meldet sich die Einsicht, daß man von Gott vielleicht doch zu klein denke, wenn man von dem Licht des „Ich werde dasein als der ich dasein werde“ (Ex 3,14) irgendein Menschentum ausnehme. Mußte man es nicht jedem Menschen zumuten können, daß er sittlich handle? Bedeutete die gegenteilige Position nicht, daß man ihm seine Menschenwürde nähme und ihn zur Marionette eines Offenbarungsfaktizismus machte?

Durch dieses Problem, welches sich als das eigentliche Problem zwischen den beiden Gesprächspartnern erweist, werden aber nun eine ganze Reihe von weiteren Grundfragen aufgedeckt, die durch die Beiträge Bubers, aber auch Brunners, eine scharfe und zum Teil hilfreich klärende Beleuchtung erfahren. Wir können sie hier nur aufzählen.

Da ist zum einen die Frage, was denn eigentlich Offenbarung heißen könne. Von beiden Seiten her erfährt dies eine Differenzierung und Klärung. Da ist zum andern die Frage, was man unter Erbsünde verstehen solle. Buber: „Es ist das schwerste Menschenwort, das ich kenne“ (30). Da ist schließlich die Frage, inwieweit die Theologie das Zusammenwirken zwischen Gott und dem Menschen überhaupt logisieren könne. Diesen Vorwurf eines disjunktiven Denkens, das auseinanderreißt, was doch nicht auseinandergerissen werden kann, trägt Buber gegenüber dem Sprachspiel, das Brunner mit dem Kollektivsubjekt „Wir Theologen (ich bezeichne damit eine Redensmöglichkeit)“ (32) eingeführt hatte, immer wieder vor (vgl. 42; 45). Als Kernfrage erweist sich schließlich die Frage nach der Struktur des Entscheidungsgeschehens selbst, das sich zwischen Gott und dem Menschen abspielt und das nicht auf die Disjunktion „Gott oder Mensch“ reduziert werden kann (36). In den mit großer Wahrhaftigkeit und innerem Engagement geführten Gesprächsgängen meint man zuweilen der berühmten Kontroverse zwischen Erasmus und Luther über den freien Willen (De libero arbitrio, 1524) und den geknechteten Willen (De servo arbitrio, 1525) beizuwohnen — aber übertragen in den Ernst der Fragen des 20. Jahrhunderts. Und diese sind durch die Verwicklungen, in die uns das Ende dieses Jahrhunderts gebracht hat, noch größer geworden.

Buber sucht, vor allem in der zweiten Hälfte des Gespräches, die Aufmerksamkeit immer wieder auf die Wirklichkeit der Schöpfung hinzulenken und wirft dem christlichen theologischen Denken, so wie er es bei Brunner zu finden meint, einen unerkannten Marcionitismus vor (44). Aber welchen Zugang gewinne ich zu der Wirklichkeit als der unbedingten, die ich Schöpfung nennen darf? Buber: „Ich bin wirklich nur, wenn ich mich zu entscheiden habe. Dann habe ich das bißchen Boden unter meinen Füßen. Nur mit Furcht und Zittern ...“ (45). Und man mag damit das Bekenntnis zusammenlesen, zu dem sich am Ende des Gespräches Bubers Beiträge verdichten: „Ich glaube nicht, daß es einen Menschen gibt, der gar nicht um Gott weiß und gar nicht um die Sünde weiß ... und mir scheint, daß die gemeinte Wirklichkeit dieses Bißchen bleibt, was uns gemeinsam ist, über das die Offenbarung hinbraust“ (49). Und schließlich auch dieses letzte Wort: „Die Wirklichkeit Gottes ist die Gnade“ (51).

Das Gespräch zwischen Buber und Brunner führt zu keinen glatten Lösungen; ebensowenig wie die Gespräche über das Problem des Menschen, von denen Buber zu Beginn der Aussprache berichtet (26-27). Aber es ist Zeugnis einer Begegnung, der es von beiden Seiten her mit größter Redlichkeit darum ging, „die Selbstberichtigung miteinander vorzunehmen“ (47). Es hat insofern einen exemplarischen und wegweisenden Charakter.

  1. Zu Ernst Michel vgl. A. Groß/J. Hainz/F. J. Klehr/Ch. Michel (Hg.), Weltverantwortung des Christen. Zum Gedenken an Ernst Michel (1889-1964). Dokumentationen (Frankfurt/M. 1996). Der Nachlaß befindet sich jetzt im Ernst-Michel-Archiv der Universität Frankfurt/M. (Seminar für Katholische Theologie).
  2. Wir danken für die Abdruckerlaubnis des bisher ungedruckten Textes der Emil-Brunner-Stiftung Zürich, der Nachlaßverwalterin des Martin-Buber-Estate, Frau Dr. Judith Buber-Agassi sowie dem Lambert Schneider Verlag und den Herausgebern der Buber-Werkausgabe (Berlin). Die Genehmigung für den Abdruck der Buber-Textpassagen erfolgte exklusiv und nur für diese Ausgabe des Freiburger Rundbriefs.
  3. Jetzt abgedruckt in Martin Buber. Werke II, 849-869 (München 1964).
  4. 1889-1949. Zu dessen Nachlaßwerk „Heilung aus der Begegnung. Eine Auseinandersetzung mit der Psychologie C. G. Jungs“ (Stuttgart 1951) schrieb Buber später das Geleitwort.
Aussprache zwischen Martin Buber und Emil Brunner 1928  
Dr. Bernhard Casper ist Professor für Christliche Religionsphilosophie an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br.

Jahrgang 6/1999 Seite 23



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