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Gertrud Luckner
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Elisheva Hemker

Das Altenwohnheim Gertrud Luckner in Nahariya

„In Israel ist erstmals ein Altenwohnheim errichtet worden für auf Grund der Nürnberger Gesetze verfolgte Christen. Seit 1957 betreut dort das Jakobus-Werk röm. katholische Christen der hebräisch sprechenden Gemeinde. Insbesondere handelt es sich dabei seit der Einwanderung aus den Ostblockländern um meist katholische Frauen, die damals jüdische Kinder und Männer, Letzt-überlebende, retteten, mit ihnen die Verfolgung durchstanden, nach dem Krieg die Geretteten heirateten und schließlich mit ihnen nach Israel kamen ... Für diesen schon länger bestehenden Zweck hat sich ein gut geeignetes, schönes Haus in Nahariya gefunden, einem 1936 von Einwanderern aus Deutschland gegründeten, am Mittelmeer gelegenen Badeort mit gutem Klima ... In dem Haus, in besonders schöner Lage, nahe dem Meer, unweit dem Einkaufszentrum von Nahariya, einem Haus mit großer überdachter Terrasse, können 20 Bewohner in Einzelzimmern, auch Ehepaare, Aufnahme finden.

Träger des Altersheims ist ein neuer, israelischer, gemeinnütziger, eingetragener Verein in Kooperation mit dem Deutschen Caritasverband. Die finanzi-elle Hilfe zur Errichtung des Heimes leisteten der vom Bonner Bundesfinanz-ministerium verwaltete Hilfsfonds für die durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen nicht jüdischen Glaubens (HNG-Fonds) und die deutschen katholischen Bischöfe über den Deutschen Caritasverband.“

Gertrud Luckner, in: FrRu XXVII[1975]147-148

Zum ersten Mal begegnete ich Gertrud Luckner im Jahre 1961 bei einem Fortbildungsseminar in Ilbenstadt. Sie war gerade aus Israel zurückgekommen und berichtete über die Situation der Christen im jüdischen Umfeld. Nach dem Vortrag fragte ich sie, ob es eine Möglichkeit gebe, ein oder zwei Jahre in Israel zu arbeiten. Sie, ganz erfreut: „Die Christen dort brauchen jemanden, der mit ihnen arbeitet.“ Ich hatte eher an Hühnerzucht in einem Kibbuz gedacht. Sie drückte mir ein paar Freiburger Rundbriefe und ihre Anschrift in die Hand, und eine Kollegin brachte sie nach Frankfurt zum Bahnhof. Ich kam nicht einmal auf die Idee, mitzufahren, um noch mehr über die Arbeit in Israel zu hören. Doch ich hatte mich bereits entschieden.

Ich schrieb Dr. Luckner, daß ich bereit sei, für eineinhalb Jahre nach Israel zu gehen: ein halbes Jahr für Sprachstudium und ein Jahr, um eine Studie über hebräische Christen, getaufte Juden und christlich-jüdische Mischehen zu er-stellen.1

In der Osterwoche 1962 traf ich Gertrud Luckner wieder in Jerusalem. Ich war kurz vor Ostern angekommen. In einem Kibbuz wollte ich Hebräisch lernen, aber zu jener Zeit (Eichmannprozeß) wollte niemand eine Deutsche. Durch die Sochnut (Vertretung des Weltjudentums in Israel) bekam ich einen Studienplatz in einem Kibbuz in Obergaliläa, in dem Tschechen und Juden aus Holland lebten, die 1944 im Austausch mit den Templern aus Bergen-Belsen am Leben geblieben waren. Meine Ausbildung zur Gärtnerin half mir, meinen Platz zu finden. Nach dem Ulpan sollte ich zurück an meinen Standort, das Gemeindezentrum von Tel Aviv-Jaffo. Aber auch dort wollte man keine Deutsche. An einem Schabbat kam P. Daniel Rufeisen (1922-1998)2 von der hebräischen Gemeinde in Haifa. Er schlug mir vor, nach Haifa zu kommen. Seine Begründung: „Ich habe als Partisan gegen Deutsche gekämpft. Ich kann auch mit einer deutschen Pastoralreferentin zusammenarbeiten.“

Noch bevor ich nach Israel kam, hatte mich Gertrud Luckner angewiesen, einen geeigneten Platz zu finden für alte Menschen, die Juden gerettet hatten. Alle Klöster wurden dafür in Augenschein genommen, aber erst 1976 — bei einem Krankenbesuch in Nahariya — fand sich ein geeignetes Haus. Eine Rückfrage bei Dr. Luckner ergab, daß der Hilfsfonds noch existierte, aber für jeden Bewerber ein separater Antrag gestellt werden mußte. Die entscheidende Sitzung, ob das Projekt überhaupt in Frage kommt, war in Berlin am 24. Januar 1977. Bis dahin mußten die Anträge vorliegen. Tagsüber suchte ich nach Paradefällen, und nachts schrieb ich die Anträge. Als alles soweit war, streikte die israelische Post. Gertrud Luckner wußte Rat. Eine Gruppe deutscher Politiker war in Israel und sollte die Anträge nach Deutschland bringen. Nach einer Woche hatte ich endlich einen Bundestagsabgeordneten ausfindig gemacht, der dafür sorgte, daß die Anträge rechtzeitig zu Dr. Luckner kamen. Nur durch die Überzeugungskraft von Dr. Luckner wurde das Projekt genehmigt. Ohne sie wäre es nie zustande gekommen. Selbst hier in Israel öffnete das Projekt schwer zugängliche Türen. Wir schlugen Frau Luckner vor, das Haus nach ihrem Namen zu benennen. Sie war begeistert.

Am 1. November 1978 war das Haus bezugsfertig. Am 7. November zog die erste Bewohnerin ein, eine aus Oberschlesien stammende blinde Frau. Das Heim sollte „so viel Privatinitiative wie möglich und so wenig Hilfestellung als nötig“ bieten.3 Die Einwohner hatten nicht nur die neue Umgebung zu verkraften, sondern sie brachten auch eine vielfach noch nicht verarbeitete Vergangenheit mit. Das schreckliche Attentat in Nahariya am 22. April 1979 ließ vieles wieder von neuem aufbrechen. Zuzuhören war die erste Hilfe, die die „Neuen“ benötigten.

Gertrud Luckner fand erst Weihnachten 1979 Zeit für die Einweihung „ihres“ Hauses. Als sie eine Woche vor Weihnachten anrief, sie könnte Weihnachten kommen, wußte ich nicht, wo ich anfangen sollte. Am Weihnachtstag regnete es in Strömen, so daß unsere Straße ein Bach war und die Taxis sich weigerten, bis zum Gertrud Luckner Haus zu fahren. Der Bürgermeister von Nahariya schickte uns dann einen Lastwagen Schotter, um der Straße wenigstens etwas festen Grund zu geben.

Frau Luckner meldete ihre Auslandsgespräche immer um Mitternacht an. Wenn der Anruf dann endlich durchkam und ich auf das Gespräch wartete, hieß es, der Teilnehmer meldet sich nicht. Sie war an ihrem Ende der Leitung – in Freiburg inzwischen eingeschlafen.

Ich bin dankbar, einer so großen Frau begegnet zu sein, auch wenn es nicht einfach war, mit ihr zu arbeiten. Durch sie habe ich in Israel viele interessante Menschen kennengelernt, mit denen ich bis heute in Kontakt bin.

  1. Vgl. Elisheva Hemker, Kirche in der Verkündigung in Israel, in: FrRu XIX(1967)61-62.
  2. Vgl. FrRu 6(1999)62-66.
  3. Vgl. FrRu XXX(1978)188.

Elisheva Hemker, geb. 1930 in Schlesien, arbeitete zunächst als Pastoralassistentin und Laientheologin im Bistum Mainz. Seit 1962 in Israel, übernahm sie 1967 die Leitung des Altenwohnheimes Gertrud Luckner in Nahariya.


Jahrgang 7/2000 Seite 274



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