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Eberhard Schockenhoff

Weshalb ein Schuldbekenntnis der Kirche Sinn hat

Auf der Generalversammlung der Gärres-Gesellschaft in Potsdam Ende September 1999 wurde im Zusammenhang mit dem Thema der Schuldproblematik die Sinnhaftigkeit eines päpstlichen Schuldbekenntnisses der Kirche angezweifelt. E. Schockenhoff sprach sich in seinem Referat und später in einem Leserbrief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung (20.10.1999, s. u.) für die positive Bedeutung eines Schuldbekenntnisses der Kirche aus.

Nach katholischer Auffassung bezeichnet der Terminus Sünde eine persönliche Verfehlung des individuellen Menschen. Die katholische Theologie knüpft dabei an die großen biblischen Bekenntnistexte an (Psalm 51, Psalm 39, Gleichnis vom verlorenen Sohn und so weiter), in denen das Bekenntnis der Sünde immer in der ersten Person Singular auftritt. Daneben kennt sie auch einen analogen Sprachgebrauch, wenn sie von der Sünde als Macht und Verhängnis oder von der Sünde als Zeichen für eine tiefere Verkehrung des
menschlichen Willens oder eine die Liebe zersetzende Grundentscheidung spricht. Spätestens seit der Enzyklika „Sollicitudo rei socialis“ begegnet die Rede von der sozialen oder strukturellen Sünde auch in den lehramtlichen Dokumenten des gegenwärtigen Pontifikats. Dennoch bleibt bestehen: Sünde meint in ihrem eigentlichen Sinn immer einen personalen Akt; sie ist auf umgrenzte Taten oder einen Ausschnitt der individuellen Lebensgeschichte bezogen und setzt die biographische Kontinuität eines handelnden Ichs voraus.

Diese katholische Grundgestalt der Lehre von Sünde, Schuld und Vergebung scheint dem von Papst Johannes Paul II. angekündigten öffentlichen Schuldbekenntnis im Namen der Kirche zunächst enge Grenzen zu setzen. Dennoch gibt es auch Anknüpfungspunkte, die für den Gedanken einer historischen Selbstbesinnung der Kirche fruchtbar gemacht werden können. So kennt die katholische Ekklesiologie eine theologisch sinnvolle Rede von der Subjekthaftigkeit der Kirche, es entspricht sogar in besonderem Maße einem spezifisch katholischen Glaubensverständnis, daß der individuelle Akt des Glaubens sich als Eingefügtwerden in das Ich der Kirche und als Mitgehen auf ihrem geschichtlichen Weg vollzieht. Das individuelle Christsein der einzelnen Gläubigen versteht sich demnach als Teilhabe an einer geschichtlichen Bewegung, die vom irdischen Leben Jesu und dem Wirken der Apostel bis zur Wiederkunft Christi einen generationenübergreifenden Zusammenhang bildet; ein solches lebendiges Kontinuitätsbewußtsein kann nach katholischem Verständnis geradezu als theologisches Wesensmerkmal der Kirche gelten.

Beide Aussagen — die These von der Subjekthaftigkeit der Kirche wie ein theologischer Begriff der Einheit ihrer Geschichte — lassen sich nun aber auf die Problematik eines öffentlichen Geschichtsgedenkens in der Kirche beziehen. Diese ist nach den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht nur eine Institution göttlichen Ursprungs, die vom Versagen ihrer Amtsträger und von der Sünde ihrer Glieder überhaupt nicht betroffen wäre, sondern eine „komplexe Wirklichkeit“, die auch durch menschliche Elemente bestimmt ist (vergleiche „Lumen Gentium“, Nr. 8); da sie als Kirche Jesu Christi durch ihr amtliches Handeln und im Zeugnis ihrer Gläubigen wirkt, kann sie sich auch als die sündige Braut ihres Herrn bekennen. Mit einer Überfülle von patristischen Belegen haben dies in der Theologie unseres Jahrhunderts Henri Kardinal de Lubac und der vom Papst kurz vor seinem Tod zum Kardinal ernannte Hans Urs von Balthasar der Kirche nachdrücklich ins Stammbuch geschrieben.

Das Einstehen für die dunklen Seiten ihrer Geschichte ist der Kirche daher gerade von den theologischen Grundlagen ihres eigenen Selbstverständnisses her möglich. Wenn sie innerhalb des Institutionengefüges einer vergangenen Epoche (etwa im Blick auf das Wirken der Inquisition im Mittelalter und in der frühen Neuzeit) heute die einzige ist, die als Nachfolgerin der damals handelnden geschichtlichen Mächte (Kirche — Staat — Wissenschaft — Kultur) noch eindeutig identifizierbar ist, so wird eine besondere Stärke der Kirche sichtbar.

Selbstverständlich müssen die historischen Phänomene, auf die sich ein kirchliches Schuldbekenntnis beziehen soll, zuvor mit den Mitteln historischer Quellenkritik erforscht und aus dem damaligen Zeithorizont heraus gewürdigt werden. Doch wenn ein solches Urteil — entsprechend historischer Erkenntnis und Gewißheit — gesprochen ist, hat dies für die Kirche auch theologische Relevanz: Wenn sie beim Eintritt in ein neues Jahrtausend ihrer bisherigen Geschichte gedenkt und um die weitere Führung des Geistes bittet, kann sie vor ihrem eigenen Versagen und den Verfehlungen ihrer Glieder in der Vergangenheit die Augen nicht verschließen. Sofern ein solches Schuldbekenntnis der Kirche auch ihr gegenwärtiges Zurückbleiben hinter dem Anspruch des Evangeliums einschließt, darf es weder als billige Selbstentlastung der heute Lebenden noch als vorgetäuschter Akt der Erniedrigung verstanden werden.


Dr. Eberhard Schockenhoff ist Professor für Moraltheologie an der Universität Freiburg/Br.


Jahrgang 7/2000 Seite 109



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