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Werner Trutwin

Kritische Bemerkungen zu einem Schreiben der deutschen Bischöfe zum Religionsunterricht

Am 27. September 1996 haben die deutschen Bischöfe das Schreiben „Die bildende Kraft des Religionsunterrichts“1  veröffentlicht, in dem es vor allem um die „Konfessionalität des katholischen Religionsunterrichts“ geht. In diesem Hirtenwort werden wichtige Aufgaben des Religionsunterrichts beschrieben, das Bildungspotential des Religionsunterrichts aufgezeigt, die konkreten Schwierigkeiten nicht geleugnet und die Beibehaltung der Konfessionalität des Religionsunterrichts erneut gefordert. Wenn man von der umstrittenen Frage der Konfessionalität absieht, erscheint im Grundduktus das Bild eines anspruchsvollen und zeitgemäßen Religionsunterrichts. Einzelne Passagen, z. B. zur Zivilreligion, eignen sich durchaus sogar für eine Auseinandersetzung in der Sekundarstufe II. Das bischöfliche Wort wird zur Zeit unter katholischen Religionspädagogen, Religionslehrerinnen und Religionslehrern studiert, diskutiert und in der Frage der Konfessionalität auch kritisiert. Trotz des beachtlichen Umfangs von über 80 Seiten ist erstaunlich wenig vom Judentum die Rede. Jüdisches kommt insgesamt viermal in den Blick, zweimal eher en passant, zweimal etwas ausführlicher. Der jüdische Religionsunterricht für jüdische Kinder ist einmal eher beiläufig erwähnt (21). Ein andermal wird zu Recht betont, daß der konfessionelle Religionsunterricht „in ökumenischem Geist“ erteilt werden muß. Damit ist zunächst eine Öffnung zu den anderen christlichen Konfessionen gemeint. Dann heißt es: „Analoges gilt für das Gespräch mit dem Judentum und den nicht-christlichen Religionen“ (76). Hier ist ein richtiges und wichtiges Unterrichtsprinzip formuliert, das in der heutigen Schule nicht unberücksichtigt bleiben darf.

Relativ ausführlich wird als ein biblisches Beispiel für die Bildungsrelevanz des Religionsunterrichts ein Hinweis auf Jes 43,1b-3a und 49,15-16a gegeben (35). Hier ist ausdrücklich von „Israel“ und dem „Volk“ die Rede. Wie dies geschieht, läßt allerdings ratlos. Zitiert wird das Prophetenwort „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir. Wenn du durchs Wasser schreitest, bin ich bei dir, wenn durch Ströme, dann reißen sie dich nicht fort. Wenn du durchs Feuer gehst, wirst du nicht versengt, keine Flamme wird dich verbrennen, denn ich, der Herr, bin dein Gott, ich, der Heilige Israels, bin dein Retter“ (Jes 43, 1b-3a). Der Kommentar dazu lautet: „Das ist unverfälscht die Stimme des Evangeliums. Sie gilt auch angesichts der Katastrophen dieses Jahrhunderts.“ Daß das Jesajawort ein ergreifendes Wort des Trostes sein kann, darf gewiß nicht bestritten werden. Aber es kann jemanden, der sich — wie Ijob — weitere Fragen nicht verbieten lassen will, auch zutiefst beunruhigen. Er wird wissen wollen, wie sich das Wort vom Feuer, das nicht verbrennt, und von der Flamme, die nicht versengt, angesichts der Schoa, in der im Feuer und in den Flammen mehrere Millionen Juden, darunter eine Million Kinder, umkamen, als Evangelium bewährt und gerade auch für das 20. Jahrhundert gilt. Eine Antwort auf diese naheliegende Frage wird mit keinem Wort angedeutet. Das furchtbare Problem scheint nicht einmal wahrgenommen zu sein. Dabei berührt es das Selbstverständnis des Judentums, wie die vielen Versuche einer jüdischen Theologie zur Schoa zeigen. Es wirft auch grundsätzliche, die Fundamente des christlichen Glaubens berührende Fragen für den katholischen Religionsunterricht auf. Es genügt nicht, das schreckliche Geschehen und das ermutigende Bibelwort nur gegenüberzustellen. In der schulischen Praxis kann sich dies nicht bewähren.

Die umfangreichste Äußerung zum Judentum erfolgt unter der Überschrift „Konfession und Ökumene“ (47). Dort heißt es: „Wenn von Ökumene die Rede ist, dann denken wir Katholiken in Mitteleuropa zuerst an die Einheit mit den Kirchen der Reformation, erst später an die Kirchen der Orthodoxie. Selten aber denken wir an den ersten und radikalsten Bruch, der der Kirche in die Wiege gelegt ist: die Spaltung von der Synagoge. Diese Trennung aber kennzeichnet die Kirche am fundamentalsten und läßt die späteren Spaltungen erst verstehen. Auf diese offene Wunde hinzuweisen, ist deshalb notwendig, weil alle Kirchen lernen müssen, mit dieser schmerzhaften Wunde zu leben. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist auch im Religionsunterricht diesbezüglich eine Empfindsamkeit gewachsen, die für ein ökumenisches Bewußtsein außerordentlich wichtig ist. Es war eine geschichtlich umwälzende und in ihrer Bedeutung bis heute noch nicht zureichend gewürdigte Tat, als Papst Johannes Paul II. 1986 den Weg vom Vatikan zur Großen Synagoge Roms ging.“

Erfreulich ist dieser Passus zunächst einmal deshalb, weil er anzeigt, daß Ökumene nicht auf die christlichen Kirchen begrenzt werden darf, sondern aus christlicher Perspektive auch das Judentum (hier wird nur „die Synagoge“ genannt) umfaßt. Ob die Aussage umgekehrt auch aus der Sicht des Judentums akzeptiert werden kann, sei hier dahingestellt. Bemerkenswert ist auch, daß diese Trennung als der „erste und radikalste Bruch“ in der Geschichte der Kirche bezeichnet und als „offene“ und „schmerzhafte Wunde“ empfunden wird. Sprachlich mißglückt ist sicher die Wendung von dem Bruch, „der der Kirche in die Wiege gelegt ist“. Mit keinem Wort wird darauf eingegangen, in welchen Punkten sich das Verhältnis der Kirchen zu Israel vom Verhältnis der Kirchen untereinander unterscheidet. Darum werden aus dieser jüdisch-christlichen Trennung, die zu Recht als die „am fundamentalsten“ genannt wird, keine Schlußfolgerungen für die Praxis des Religionsunterrichts gezogen, wie das im Blick auf die anderen Kirchen geschieht. Wohl wird an das Zweite Vatikanische Konzil — gemeint ist „Nostra aetate“ 4 — und an den Besuch des Papstes in der Großen Synagoge Roms erinnert. In der Tat sind beide Ereignisse Meilensteine in der langen Geschichte der Kirche mit dem Judentum, die auch den Religionsunterricht, dem dankenswerterweise eine wachsende „Empfindsamkeit“ für diese Thematik bescheinigt wird, nachhaltig beeinflußt haben.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß man froh sein muß, daß das Judentum in diesem wichtigen bischöflichen Schreiben überhaupt vorkommt. Richtige Grundprinzipien für die Behandlung des Judentums lassen sich aus diesem Text ableiten. Aber alles in allem hat das Judentum doch nicht die Beachtung gefunden, die es haben muß, wenn die Trennung von der Synagoge als die „fundamentalste Trennung“ bezeichnet wird, welche die Kirche erfahren hat und die „die späteren Spaltungen erst verstehen“ läßt. Nicht einmal im Anhang, der wichtige offizielle Erklärungen zum Religionsunterricht nennt, sind die „Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirche“2  erwähnt, die am 24. Juni 1985 von der vatikanischen Kommision für die religiösen Beziehungen zum Judentum veröffentlicht wurden. So läßt das Schreiben bei allem guten Willen die wachsende „Empfindsamkeit“ der Kirche für das Judentum eher nur von Ferne ahnen.

  1. Zitiert nach: Die bildende Kraft des Religionsunterrichts, Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1996.
  2. Vgl. R. Rendtorff/H. H. Henrix (Hg.), Die Kirche und das Judentum. Dokumente von 1945-1985. Paderborn 21989, 92-103.

Werner Trutwin, Oberstudiendirektor a. D., Verfasser von zahlreichen Schulbüchern für den Religionsunterricht und Werken über Christentum und Weltreligionen, ist Mitglied der Arbeitsgruppe „Fragen des Judentums“ der Okumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz sowie des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken.


Jahrgang 6/1999 Seite 117



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