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David Flusser

Der Tod des Täufers

 — für Clemens Thoma zum 65. Geburtstag

Schon vor 50 Jahren, auf einer böhmischen Waldwiese, habe ich versucht, meine Eltern zu überzeugen, daß der Tanz des Mädchens Salome ein unschuldiges Tänzchen war. Endlich habe ich den Mann gefunden, nämlich Ernest Renan (1823-1892) in seinem „Leben Jesu“. Nachdem er im Jahre 1863 die Schleuse geöffnet hatte, konnte das schmutzige, giftige Wasser hurtig fließen. Da die Büßergestalt des Täufers auf der Brücke zwischen dem Alten und dem Neuen Bund steht, wollen wir hier in Stichwörtern den tragikomischen Gang vom „Fuchs“ Herodes Antipas zu dem problematischen Einakter „Salome“ (1905) von Richard Strauss schildern. Die erste Salome von Strauss, Rose Pauly, habe ich in Prag gehört. Und zu Strauss sei bemerkt: Das Judenquintett zu seiner Salome ist „ein Kabinettstück kreischender, talmudisch geifernder Beredsamkeit“. So aus dem Opernführer, und es stimmt!

Man weiß, daß Herodes Antipas in einer gesetzlich verbotenen Ehe Herodias, die Frau seines lebenden Bruders, geheiratet hat. Das hat ihm der Täufer vorgeworfen, und darum wurde er ins Gefängnis geworfen. Auch ist aus den Evangelien bekannt (Mt 14,3-12; Mk 6,17-29; Lk 3,19-20), wie es zum Tanz der Salome (deren Name in den Evangelien fehlt) zu Ehren des Geburtstages ihres Stiefvaters kam. Doch wir wollen uns nun wieder Renan zuwenden.

Renan sagt über Salome, daß sie, wie ihre Mutter Herodias, moralisch verdorben war (ambitieuse et dissolue). Zum Geburtstag des Antipas gab es ein großes Festessen. Jedoch der Tanz, den Salome aufgeführt hat, galt in Syrien für eine Standesperson nicht für unangebracht. Daß Salomes Tanz dem Stiefvater gefallen hat, steht — leider — auch in Markus (und Matthäus). Renan läßt durchblicken, daß die Aufführung von Herodias angestiftet war. Das steht nicht in den Evangelien. Ich meine, daß so etwas dem Sinn der historischen Anekdote in den Evangelien schaden würde.

Einiges zu der späteren modernen Entwicklung des Stoffes: Gustave Flaubert (1821-1880) war mit Ernest Renan befreundet. Seine „Herodias“ (1877) hat mir persönlich überhaupt nicht gefallen. Der Hauptgrund war nicht Salomes Tanz. Nach dem Tanz ruft Antipas Salome zu: „Komm, komm!“ Aber er ist erschüttert, als er vom gruseligen Wunsch der Tänzerin hört. Der Tanz selbst paßt zu Flauberts Erfahrung mit einer syrischen Tänzerin in Ägypten, wie man aus seinen Tagebüchern entnehmen kann. Bei der arabischen Tänzerin von Flaubert weiß man nichts ganz Genaues über deren Erotik. Anders in der „Salome“ von Oscar Wilde (1893). Die französische Fassung wurde von Lord Alfred Douglas ins Englische übersetzt. In dem Schauspiel hat sich die perverse Salome in Johannes den Täufer rasend verliebt und will ihn auf die Lippen küssen. Das erreicht sie nur mit seinem Kopf. Angeekelt befiehlt am Ende Antipas: „Tötet das Weib!“ Zugunsten von Wilde ist allerdings zu sagen, daß bei ihm der Täufer zuerst so abstoßend erscheint wie bei Flaubert. Man kann aus der Biographie Wildes verstehen, weshalb Salome sich sehnt, die Lippen des Täufers zu küssen. Sein Freund Renan hätte ihm dies wohl nicht abgenommen. Die Oper Salome nach Wilde wurde 1905 von Richard Strauss aufgeführt.

Doch genug von der modernen prickelnden Verzeichnung! Um wirkliche Geschichte zu lernen, wollen wir uns dem antiken Bericht des Josephus über den Täufer zuwenden. Josephus sieht in Johannes dem Täufer einen heiligen Mann und fährt fort: „Da die Menge bei Johannes zusammenströmte und beim Hören seiner Worte aufs höchste ergriffen wurde, fürchtete Herodes, das Ansehen des Mannes, dessen Rat allgemein befolgt zu werden schien, könnte das Volk zum Aufstand treiben. Er hielt es daher für besser, ihn rechtzeitig aus dem Weg zu räumen, damit er nicht im Falle eines gefährlichen politischen Umschwungs in die Geschehnisse hineingezogen würde und seinen Sinn ändern müßte. Wegen dieser Befürchtung ließ ihn Herodes fassen, in die Festung Machärus führen und dort umbringen (Altertümer 18,118 f.).“

Nach Josephus gab es damals unter den Juden manche, die sicher waren, daß Gott den Antipas mit Recht für den Tod des Täufers bestraft habe, indem seine Armee vom König der Nabatäer vernichtet worden sei. Der siegreiche Feldzug des Nabatäers gegen Antipas war durch die Verstoßung der Tochter des Nabatäerkönigs zugunsten der Herodias verursacht. So ist auch bei Josephus, wie in den Evangelien, die Ehe mit Herodias mit dem Tod des Täufers in Zusammenhang gebracht. Es scheint mir noch wichtiger für die Gestalt des Täufers bei Josephus zu sein, daß er von einer göttlichen Strafe für seinen Tod spricht, wie er auch früher (Altertümer 14,25) von einer Strafe Gottes für den Mord an Choni, dem „Kreiszieher“, gesprochen hat, welcher ja auch aus dem rabbinischen Schrifttum bekannt ist. In beiden Fällen zeigt Josephus eine Vorliebe für heilige Männer.

Was den Bericht in den Evangelien anbelangt, wollen wir hier nur bemerken, daß Lk 3,19 f. leider nur eine kurze Zusammenfassung der Geschichte bringt. Matthäus ist zwar von Markus beeinflußt, aber er benutzt dabei auch eine andere, anscheinend bessere Quelle. Nach Mk 6,17 hieß der frühere Gemahl der Herodias Philippus. Das ist ein Irrtum, denn Philippus war später mit Salome verheiratet. Mt 14,3 läßt den falschen Namen weg — er fehlt unter anderem in den drei wichtigen Handschriften (Sinaiticus, Codex Bezae und Vaticanus).1 Typisch für den schöpferischen Geschmack des Markus ist, was er über die angebliche Ambivalenz des Antipas zum Täufer zu erzählen weiß: „Herodias verzieh ihm das nicht und wollte ihn töten lassen. Sie konnte ihren Plan aber nicht durchsetzen, denn Herodes fürchtete sich vor Johannes, weil er wußte, daß dieser ein gerechter und heiliger Mann war. Darum schützte er ihn. Sooft er mit ihm sprach, wurde er unruhig und ratlos, und hörte ihm doch gerne zu (Mk 6,19-20).“2 Das ist spannend und läßt die folgende Intrige dramatischer erscheinen. Dagegen ist Mt 14,5 weniger erfindungsreich, aber historisch wahrscheinlicher.

Nach Matthäus wollte Herodes Antipas Johannes töten lassen, „fürchtete sich aber vor dem Volk; denn man hielt Johannes für einen Propheten“ (Mt 14,5). Dasselbe wird über die Menge und den Täufer in Mt 21,26 gesagt (ähnliches in Mk 11,32 und Lk 20,6). Was wir in Mt 14,5 lesen, scheint historisch glaubhafter zu sein, als was in Mk 6,19 f. über einen Antipas steht, eine Gestalt wie aus einem nicht gerade geschmackvollen Roman. Es ist sogar denkbar, daß Matthäus den echten Text wiedergibt, während Markus 5,20 eine problematische Verschlimmbesserung von Matthäus darstellt. Es ist auch klar, daß die Schilderung des Antipas bei Matthäus und seine Beziehung zum Täufer vielmehr dem entspricht, was Josephus darüber geschrieben hat.

Was wir bei Matthäus über das Tänzchen des Mädchens und über die Enthauptung des Täufers lesen, findet sich in gekürzter Form auch bei Markus. Vermutlich stammt Mt 14,7, wonach der Tanz Salomes dem Antipas (Mk: und den Gästen) gefallen hat, aus Mk 6,22. Es steht nirgends geschrieben, daß Herodias ihre Tochter absichtlich zu diesem Tanz angestiftet hat. Antipas hat dann geschworen, daß er Salome alles geben werde, was das Mädchen verlange.3 „Sie ging hinaus und fragte ihre Mutter: Was soll ich mir wünschen? Herodias antwortete: Den Kopf des Täufers Johannes (Mk 6,24).“ Darüber wurde Antipas sehr betrübt, aber weil er vor allen Gästen geschworen hatte, wollte er ihren Wunsch nicht ablehnen. So wurde der Täufer geköpft, und der Kopf wurde auf einer Schale dem Mädchen gegeben. Das Mädchen gab ihn seiner Mutter. Sowohl bei Markus, als auch bei Matthäus wird Salome das „Mädchen“ genannt. Für ein zwölfjähriges Kind wird das griechische Wort korasion benutzt (Mt 9,24 f., Mk 5,42).

Man sollte diese historische Anekdote nicht durch Anzüglichkeiten verderben! Nur wenn man die Geschichte unbefangen gelesen hat, bekommt sie den ursprünglichen Sinn zurück. Herodias hat sich die einzigartige Gelegenheit geboten, einen mörderischen Plan zu verwirklichen, als beim Geburtstag ihres Gatten ihr Töchterchen vor dem Stiefvater getanzt hat. Antipas hat dem Mädchen geschworen, ihr das zu geben, was sie sich wünsche. Herodias hat diesen Glücksfall voll ausgenützt. Der Kopf des Johannes wurde dem Mädchen wirklich gebracht, und Salome hat ihn der Mutter weitergereicht. Zu belasten ist ganz die Mutter. Sie hat ihr unwissendes Kind mißbraucht. Heute — nach Hitler und Stalin — kann man das Gespensterhafte des Geschehens wieder besser erkennen. Es gibt Geschichtsforscher, die sich ausrechnen, daß Salome damals fünfzehn oder achtzehn Jahre alt war, also schon heiratsfähig. Kann sein, aber in der Erzählung ist sie ein kleines Mädchen; sonst verliert das Ganze seinen eigentlichen Sinn.

Die berüchtigte Salome hat später den viel älteren Fürsten Philippus geheiratet, der aber bald darauf starb. Die Ehe blieb kinderlos. Sie selbst hat dann einen anderen Herodianer namens Aristobulos geheiratet, dem sie drei Söhne geboren hat: Herodes, Agrippa und Aristobulos4 (Josephus, Altertümer 18,137). Das ist das Ende der Familiengeschichte. Die historische Salome ist auf einer Münze zusammen mit ihrem zweiten Gatten Aristobulos abgebildet — eine Seltenheit in der jüdischen Antike. Sie wird außerhalb der Evangelien nie literarisch porträtiert. Auf der Münze ist sie bereits eine würdige Matrone. Ob sich wohl Salome als dreifache Mutter der schauderhaften Episode aus ihrer Kindheit erinnert hat?

Die Geschichte gehört zum christlich-jüdischen Dialog, weil die Personen Juden waren und weil Johannes Jesus getauft hat.

  1. Das nötige Material befindet sich bei Bruce M. Metzger, A Textual Commentary on the Greek NT, London 1975, S. 35.
  2. Dieses griechische Wort für „gerne“ kommt sonst in den Evangelien nur noch in Mk 12,37 vor.
  3. Nach Mk 6,23 hat Antipas geschworen, daß er Salome alles geben wird — bis zur Hälfte seines Reiches. Diese Anspielung auf Esther 5,3 und 7,2 fehlt in Mt. Es ist der einzige Hinweis auf das Buch Esther in den Evangelien.
  4. Damals war es nicht ungewöhnlich, daß der Sohn den Namen des lebenden Vaters bekam. Siehe z. B. Lk 1,59 usw.

Jahrgang 6/1999 Seite 95



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