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In memoriam

Daniel Rufeisen (1922-1998): Zionist* , Karmelit und Seelsorger

Viele Israelbesucher kannten ihn. Seine kleine Gestalt stand für eine abenteuerliche Biographie. Sanft und freundlich im Wesen, erläuterte er den Gästen seine Berufung und was er bei der Eucharistie in Hebräisch feierte: das Wiederfinden der hebräisch-jüdischen Wurzel des Christentums.

Pater Daniel Rufeisen, am 30. Juli 1998 in Haifa gestorben, wurde als Oswald Rufeisen am 29. Januar 1922 im polnischen Dorf Zywiec (Saybusch) nahe der tschechischen Grenze geboren. Seine jüdische Familie sprach Deutsch, lebte religiös. Das Engagement von Oswald und seinem Bruder Arie in der zionistischen Jugendbewegung ließ sie zu. Kurz nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 floh die Familie ins Landesinnere. Die Eltern rieten den Söhnen zur Flucht nach Palästina; sie selbst wurden 1942 in Auschwitz umgebracht. Arie gelang die Flucht nach Palästina, Oswald ging weiter nach Osten. Aufgrund seiner Sprachkenntnisse (Deutsch, Polnisch und Russisch) wurde er als nicht-jüdischer Pole deutscher Herkunft angesehen und von deutschen Militär- und Polizeikräften in Weißrußland als Dolmetscher in Dienst genommen. Er erfuhr von geplanten SS-Aktionen gegen die dortige jüdische Minderheit. Manche Tötungsaktion verhinderte er durch vorzeitige Information der Bedrohten oder gezielte Falschübersetzung. Die geplante Tötungsaktion gegen das jüdische Getto von Mir im August 1942 verriet er, so daß sich ein Teil der Juden retten konnte. Als der Verdacht des Verrats auf Oswald Rufeisen fiel, wurde er inhaftiert, konnte jedoch in einen benachbarten Konvent fliehen. Dort las er das Neue Testament. Er fand Mut in dem, was er — nach eigenen Worten — von Jesus las, „diesem Mann voll Glauben an Gott und sich selbst, bereit, das Kreuz auf sich zu nehmen. Und dann — hier ist der Hauptpunkt — kam die Auferstehung. Er wurde von Gott auferweckt vom Tod. Das gab mir eine Hoffnung für mein Volk. Ich war Zeuge, wie es gekreuzigt und zu Tode gequält wurde.“ Auf seine Bitte empfing Oswald in seinem Versteck die Taufe. Um das Kloster nicht zu gefährden, floh er in die umliegenden Wälder. Russische Partisanen hielten ihn für einen deutschen Kollaborateur und wollten ihn erschießen. Nur das Zeugnis von Juden aus Mir rettete ihn.

Nach Ende des Krieges und seiner Rückkehr nach Polen trat er in den Orden der Karmeliter ein und erhielt den Namen Daniel. 1949 legte er die ewigen Gelübde ab, 1952 wurde er zum Priester geweiht. Zunächst wirkte er in Polen, aber seine Sehnsucht nach Israel blieb. Dort sah er seinen Platz als Priester der katholischen Kirche und als Sohn einer jüdischen Familie. Nach langem Bemühen erhielt er 1959 die Erlaubnis zur Übersiedlung nach Israel. Aufgrund des Heimkehrergesetzes beantragte er die israelische Staatsbürgerschaft. Seine Klage vor dem Obersten Gericht Israels 1962 blieb jedoch ohne Erfolg; in ihrem mehrheitlichen Grundsatzurteil beschlossen die Richter, wer einer anderen Religion angehöre, könne kein Jude sein. So ist sein Name für die israelische Öffentlichkeit besonders mit dieser wichtigen Grundentscheidung in der Streitfrage „Wer ist ein Jude?“ verbunden.

Jahrzehntelang war Pater Daniel Seelsorger der hebräisch-sprechenden Gemeinde von Haifa. Gemeinsam mit der aus der Diözese Münster stammenden Pastoralreferentin Elisheva Hemker hat er dort ein Gemeindezentrum für die religiöse, soziale und erzieherisch-bildnerische Arbeit aufgebaut. Nicht weniger wichtig wurde die Einrichtung und Führung des „Altenwohnheims Gertrud Luckner“ in Nahariya für Christen, die aufgrund der Nürnberger Gesetze verfolgt wurden. Pilgergruppen aus vielen Ländern wollten von Pater Daniel hören, wie er die hebräischen Christen zwischen der frühen Kirche und der späteren christlichen Tradition sah. Den Begriff „jüdische Christen“ oder „Judenchristen“ mied er, weil er Juden nicht kränken wollte und weil, aus unterschiedlichen Gründen, auch Mitglieder nicht-jüdischer Herkunft zur hebräischen Gemeinde gehören.

Foto: Sammlung Daniel Rufeisen, aufgenommen 1992 im Garten des Gemeindehausesder hebräisch- sprechenden christlichenGemeinde in Haifa.
Pater Daniels Familie und seine jüdischen Freunde haben es selbstverständlich gefunden, daß er bei Familienfeiern am Synagogengottesdienst oder an der Sederfeier teilnahm. Er selbst nannte dies einen Aspekt von Katholizität. „In apostolischer Zeit hätte man den Begriff ,katholisch‘ nur in dem Sinn verstanden: ,eine Kirche der Ganzheit‘. Die Bedeutung konnte nur eine sein, besonders für Paulus: ,nicht nur wir Juden, sondern auch die anderen‘. Eine Kirche aus Juden und Nichtjuden war für Paulus die ,eine, katholische und apostolische Kirche‘. Paulus konnte sich niemals eine Kirche ohne jüdische Gemeinde vorstellen. Sie, die Kirche der Beschneidung, war zuständig, darüber zu entscheiden, wer zur Katholizität gehört. Sooft Paulus nach Jerusalem kam, geschah es, um die Bestätigung der ,Säulen‘ Petrus, Jakobus und Johannes („der Älteren“, vgl. Gal 2,9) zu erhalten. Das war die vertikale Katholizität, sie ist Katholizität der historischen Kontinuität.“1 Daneben sprach Daniel — dies durchaus im Ton der Klage — von der horizontalen Katholizität, die nach der Lösung von der Mutterkirche Jerusalem mit der konstantinischen Wende einsetzte. „Sie dauert bis heute an. Die legitime Tochter ist an die Stelle der Mutter getreten. Jerusalem ist nicht mehr das Urmodell der Kirchen, diese Funktion hat Rom übernommen. Katholisch bedeutet jetzt nicht mehr, in Einheit mit der Urkirche zu sein, sondern in Treue zu Rom. Christsein ist nicht so sehr Lebensart als vielmehr Doktrin, die begründet, definiert und zentral kontrolliert wird. Sie ist nicht länger ,der ewige Bund mit Gott‘, erneuert in Jesus, dem Messias. Der Schwerpunkt ist nicht mehr die Wahrhaftigkeit des treuen Gottes seinem Bundespartner, dem erweiterten Israel, gegenüber, sondern die Sicherheit der Dinge, die wir wissen müssen über Gott, Christus und den Weg des Menschen zum Heil.“2

Pater Daniel wußte, daß er mit seinem Kirchen- und Theologieverständnis zwischen den Stühlen saß. „Ich bin ein armer Seelsorger und kein gescheiter Theologe. Aber ich habe einen Auftrag von Gott empfangen: die Kirche in Israel, in der hebräischen Sprache und Kultur wieder zu rehabilitieren, ihren Platz in der Gesamtkirche wieder einzunehmen, diese Gesamtkirche wieder mit ihrer Wurzel zu verbinden.“ Vielen seiner christlichen Besucher erschien er als zu jüdisch. Den Israelis, bei denen er viel Achtung gefunden hat, galt seine Gemeinde als ,christliche Kirche‘, weshalb sie aus einer ernstzunehmenden jüdischen Betrachtung herausfällt; aber seine Anfrage an die israelische Gesellschaft, ob die Nationalität in Israel nicht von der Religion getrennt werden müßte, weist auf ein schweres Problem hin, das besonders durch die vielen Einwanderer mit dem Status eines „zweifelhaften Judentums“ in den letzten Jahren angewachsen ist. Vertretern der kirchlichen Hierarchie droht das Experiment der Wiedereinwurzelung der Kirche abzugleiten. Mit einer gewissen Genugtuung erzählte er gerne von seinem Frühstück mit Papst Johannes Paul II. (1985) in Rom. Er habe den Papst gebeten, von der Kirche nicht mehr als dem „wahren Israel“ zu sprechen; sie sei ein neues, erweitertes Israel. Er sei mit dem Papst einig gewesen in der Notwendigkeit der lebendigen Verwurzelung der Kirche im Judentum. Daniels Vorstellungen, wie diese Verwurzelung kirchlich gelebt werden sollte, hätte sich der Papst aufmerksam angehört, ohne die Erläuterungen ausdrücklich zu bestätigen. Vor wenigen Jahren hat Pater Daniel auch Kardinal Ratzinger vorgetragen, wie schwierig es für ihn und seine Mitbrüder in Israel sei, gewisse christliche Begriffe ins Hebräische zu übertragen. „Ich kann mich selbst nicht einen Priester, d. h. einen ,Cohen‘ nennen, und ich kann im Hebräischen von Maria auch nicht als der ,Mutter Gottes‘ sprechen.“

Bei einer seiner letzten Begegnungen kurz vor seinem Tod (mit den Teilnehmer/innen einer Studienfahrt der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen unter dem Leitmotiv „Auf den Spuren der Erzeltern Israels“) legte er sanft und zugleich leidenschaftlich dar, daß das Zentrum der Kirche nicht nach Rom oder Byzanz gehöre, sondern nach Jerusalem. „Es ist ein Traum. Aber es lohnt, für den Traum der Rehabilitation der ,Mutter aller Kirchen‘ zu kämpfen. Diese bedeutet eine Heilung der Spaltung unserer Kirchen. Sie wird Friede statt Streit und Einheit in der Verschiedenheit der Traditionen bringen. Das ist unsere Berufung. Wir benötigen dafür viel Geduld. Vielleicht werden wir es nicht in unserer Generation schaffen. Aber lassen Sie uns im Nachdenken, im Studium und im Gespräch miteinander nicht nachlassen.“

Der Kämpfer Daniel hat zu Ende gekämpft. Seine Beerdigung fand am Tischa b‘Aw, dem Fast- und Trauertag zur Erinnerung an die Tempelzerstörung, auf dem katholischen Friedhof in Haifa statt. Die ihn zum Grab begleiteten waren Juden und Christen, Ordensmänner und -frauen, Gerettete, Freunde und seine Familie. Die Gebete waren hebräisch. Die Neffen sprachen Gedenkworte, sein Bruder Arie sagte das Kaddisch, das jüdische Totengebet. Das, wofür Pater Daniel kämpfte, bleibt als Herausforderung. Er war in seiner Theologie nicht so arm, wie er manchmal sagte. Er stellte wichtige Fragen und gab Antworten, die nicht billig und bisweilen kühn waren. Sein Vermächtnis an uns Christen „aus den Völkern“ ist, die Existenz der hebräischen Christenheit in Israel wahrzunehmen, auf ihre Stimme zu hören und ihr Ringen um ihre Identität ökumenisch zu begleiten. Ob Kirche und Christentum ihre bleibend wichtige Wurzel im Judentum wieder finden, hängt wesentlich vom Zeugnis gemeindlich gelebter Solidarität in Israel ab.

Die Großkirche muß diesem epochalen „Experiment“ Raum geben. Das erfordert Freiheit und bleibt nicht ohne Risiko. Pater Daniel Rufeisens Leben und Werk bezeugt, daß solche Freiheit mit einer unverwechselbaren Berufung für das Ganze belohnt wird.

*A.d.R.: In einem Interview sagte Rufeisen von sich: „Im schlechten Sinn des Wortes war ich nie Zionist.“

  1. Vgl. Daniel O. Rufeisen, Hebräische Christen zwischen der frühen und späteren christlichen Tradition. Jerusalem 1993. Aus dem Englischen übersetzt von Agnes Minutillo 1994. S. 6.
  2. Ebd. S. 6 f.

Hans Hermann Henrix


Jahrgang 6/1999 Seite 62



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