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Sella, Dorothea

Der Ring des Prometheus

Denksteine im Herzen. Eine auf Wahrheit beruhende Romantrilogie. Rubin Mass Verlag, Jerusalem 1996. 570 Seiten.

Ähnlich wie Prometheus, der der Sage nach von Zeus an einen Felsen des Kaukasus geschmiedet wurde, kommt die Ich-Erzählerin dieser „auf Wahrheit beruhenden Romantrilogie“, die offenkundig eher in die literarische Gattung Autobiographie fällt, von diesem schicksalhaften Gebirgszug seelisch nicht los. Dort hatte sie auf der Flucht vor den deutschen Truppen ihre beiden Kinder im Säuglingsalter verloren. Noch mehr als fünfzig Jahre später trauert sie über diesen Verlust, beklagt den Umstand, daß ihre Liebsten „ohne Grabmal, ohne ein Täfelchen, worauf ihr Name stünde – einsam und verlassen“ diesseits und jenseits des Kaukasus-Gebirges ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Auch Andi, den Vater der Kinder, verlor sie auf der Flucht, die 1941 von Czernowitz, über die Donezsteppe nach Stawropol und schließlich über Grosny nach Tiflis (Tblissi) führte. Diese bewegende Geschichte einer Holocaust-Überlebenden, die nach einem langen Irr- und Leidensweg erst 1964 nach Israel einwandern konnte, wird in drei Teilen geschildert, die nach den zentralen Stationen ihres an Entbehrung und Erfahrung reichen Lebensweges benannt sind: Stawropol, Tblissi und Czernowitz.

Die Trilogie beginnt damit, wie sich eine junge jüdische Literaturstudentin aus Czernowitz in einen jüdischen Kommilitonen verliebt und 1941 nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Sowjetunion nach Osten flüchtet, während ihre Familie zum größten Teil den Nazi-Schergen zum Opfer fällt. In ihrem minutiösen Bericht erfährt man viel über das Schicksal der Flüchtlinge, die durch den zunächst unaufhaltsam scheinenden Vormarsch der deutschen Armee immer weiter nach Osten flohen. Berichtet wird über die fast unmenschlichen Strapazen, den Hunger, den Durst, das Ungeziefer, über Grausamkeit und Egoismus, über Kaltherzigkeit von Mitflüchtlingen, aber auch über Selbstlosigkeit und Hilfe, die die Flüchtenden immer wieder von Fremden erfuhren. Nach der Niederlage der deutschen Truppen kann die Ich-Erzählerin, die offenbar mit der Autorin dieser Trilogie identisch ist, in ihre Heimatstadt zurückkehren und dort ihr Universitätsstudium abschließen. Dort trifft sie die wenigen überlebenden Familienangehörigen. Den ermordeten Verwandten und dem 1942 an Typhus verstorbenen Vater sind eigene Kapitel gewidmet. Aufgrund von Augenzeugenberichten setzt sie somit den Verstorbenen eine Art literarisches Denkmal. Der verständliche Wunsch, alles aufzuschreiben und der Nachwelt zu berichten, der so viele Holocaust-Überlebende zur Feder greifen hat lassen, scheint auch hier den Anstoß gegeben zu haben, wenngleich die Ich-Erzählerin offenbar bereits in ihrer noch sorgenfreien Kindheit den Wunsch verspürt hatte, „die Geschichte meiner Familie und den Verlauf meines eigenen Lebens als eine andere Art Gedenkstein so schnell wie möglich ... mit allen Einzelheiten aufzuzeichnen“. Doch der Versuch, aus einer spannenden und streckenweise recht traurigen Lebensgeschichte einen Roman zu machen, ist nur stellenweise geglückt.

Anat Feinberg


Jahrgang 6/1999 Seite 58



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