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Bartoszewski, Wladislaw

Es lohnt sich, anständig zu sein

Meine Erinnerungen. Mit einem Nachwort hrsg. von Reinhold Lehmann. Herder Spektrum 4449, Freiburg 1995. 146 Seiten.

Die erstmals 1983 unter dem Titel „Herbst der Hoffnungen“ erschienenen Erinnerungen des Warschauer Historikers und Publizisten Wladislaw Bartoszewski sind mittlerweile zu einer Art Klassiker der Menschenrechtsliteratur geworden. Reinhold Lehmann, ein Pionier im deutsch-polnischen Versöhnungswerk, hat sie nun, zusammen mit der bedeutenden Rede Bartoszewskis zum Gedächtnis an den 8. Mai 1945 vor dem Deutschen Bundestag (28. April 1995) als damaliger polnischer Außenminister, neu herausgegeben.

Beginnend mit seiner Verhaftung am 13. Dezember 1981 aufgrund des „Kriegsrechtes“ in Polen schildert Bartoszewski lebhaft, engagiert und manchmal humorvoll-ironisch die Stationen seines Lebens. Am 19. September 1940 (ein Jahr nach seinem Abitur) wird er in das zunächst für die Ausschaltung und Vernichtung der polnischen Oberschicht errichtete Konzentrationslager Auschwitz eingeliefert, als Häftling Nr. 4427. Glückliche Umstände bewirken nach sieben schrecklichen Monaten die Entlassung. Es folgt die Arbeit im Untergrund in katholischen Widerstandsgruppen und der polnischen Heimatarmee. Das „jüdische Kapitel“ im Leben Bartoszewskis beginnt nach den unbefangenen Erfahrungen in der Jugend akut zu werden angesichts der nationalsozialistischen Mordaktionen. Er zitiert die bekannte katholische Schriftstellerin Zofia Kossak, die 1942 auf einem kleinen Flugblatt schrieb:

„Angesichts der Verbrechen darf man nicht passiv bleiben. Wer angesichts des Mordes schweigt, wird zum Komplizen der Mörder. Wer nicht protestiert, stimmt zu. Das Blut Wehrloser schreit zum Himmel nach Rache. Wer nicht mit uns diesen Protest unterstützt, der ist kein Katholik ...“ (62).

Angesichts der Tatsache, daß Polen ein besetztes Land war, hält Bartoszewski, der zum jüdisch-polnischen Verhältnis in der Zeit der „Endlösung“ das Buch „Uns eint vergossenes Blut“ verfaßte (Fischer, Frankfurt 1987), pauschale Vorwürfe gegen Polen wegen mangelnder Hilfeleistung oder Antisemitismus für ungerecht. Für den Warschauer Gettoaufstand 1943 war er Zeuge und Chronist, was ihm die Achtung der jüdischen Welt einbrachte. Der tragische Verlauf des Aufstandes vom August 1944, an dem Bartoszewski selbst aktiv beteiligt war, muß jeden deutschen Leser erschüttern und beschämen. Was den jüngsten Streit um Symbole in Auschwitz angeht, so sei auf folgende Bemerkung hingewiesen: „Das Kreuz, an dem Jesus starb, ist für uns Christen das Symbol. Für Kolbe war es die tödliche Phenolspritze, für Korczak das tödliche Gas in der Gaskammer von Treblinka“ (60).

Nach dem Krieg kann der noch junge Bartoszewski in verschiedenen Kornmissionen für die Untersuchung der Nazi-Verbrechen mitarbeiten, gerät aber nach der Zwangs-Stalinisierung des Landes unter Spionageverdacht. November 1946 bis April 1948 und Dezember 1949 bis August 1954 verbringt er wieder in Gefängnissen und erleidet so am eigenen Leib die zweite Tragödie seines Landes in diesem Jahrhundert. Von 1939 bis 1989 stand Polen unter Gewaltregimen, während die Kriegsverlierer sich schon seit 1948 mit amerikanischer Aufbauhilfe politischer Freiheit erfreuen und dem „Wirtschaftswunder“ widmen konnten. Das alles wird von Bartoszewski, der seit den sechziger und siebziger Jahren viele Kontakte zu kirchlichen Kreisen in der Bundesrepublik anknüpft, ungeschmälert ausgedrückt. In seiner berühmten Rede vor dem Bundestag erwähnt er auch, daß erst die Worte Roman Herzogs bei den Feierlichkeiten zum 50. Gedenken des zweiten Warschauer Aufstandes am 1. August 1994 von vielen Polen als die „echte und lang erwartete Antwort des höchsten Vertreters Deutschlands auf die Botschaft der polnischen Bischöfe von 1965“ (119) empfunden wurde. Auch deutsche Heimatvertriebene könnten mit Bartoszewskis Satz leben: „Gutes tun, das klingt so leicht, man muß das Richtige tun. Aber nur so entsteht Wahrheit. Wahrheit, die der Mensch zum Leben braucht“ (59). Der Zeitgeschichtler Wolfgang Benz hat (trotz der Polemik in der F.A.Z vom 24. August 1998) eben „Richtiges“ gesagt, wenn er die nationalsozialistische Politik als Ursache des Unglücks bezeichnet, das am Ende des Zweiten Weltkrieges über die Opfer von Flucht und Vertreibung hereinbrach.

Die Botschaft Bartoszewskis, eines „leidenschaftlichen Humanisten“ (H. Böll), bleibt aktuell, und auch seine vielen Ehrungen von deutscher Seite dürfen uns nicht davon dispensieren, ihr immer neu ins Auge zu sehen. Dem Lebensbericht sind vor allem viele junge Leser und Leserinnen zu wünschen.

Stefan Hartmann

„Rabbi Bar Ghana sagte: Weshalb werden die Worte der Tora gleichnishaft mit dem Feuer verglichen? Es heißt: ,Sind nicht meine Worte wie Feuer, Spruch des Ewigen‘ (Jer 23,29)? Dies besagt: Wie das Feuer nicht allein brennt, so bleiben auch die Worte der Tora nicht bei einem Einzelnen stehen“ (bTaan 7a).

Jahrgang 6/1999 Seite 54



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