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Clemens Thoma

Vorbemerkungen zum Aufsatz über Edith Stein

Das jüdische Volk hat im Verlauf der Geschichte viele schlechte Erfahrungen mit jüdischen Konvertiten zum Christentum machen müssen. Der aus dem Judentum konvertierte Franziskaner Nikolaus Donin initiierte 1240 das Religionsgespräch in Paris, das auf die Verbrennung des Talmuds hinauslief. Der ebenfalls aus dem jüdischen Volk stammende Pablo Christiani trat 1263 bei der Disputation in Barcelona gegen den jüdischen Religionsphilosophen und Mystiker Mose ben Nachman auf und bewirkte nachherige Verfolgungen und Vertreibungen vieler Juden aus Spanien. Der Konvertit Alfonso Valladolid (Abner von Burgos) eiferte um 1300 gegen seine jüdischen Stammesgefährten, die er als Apostaten deklassierte. In der langzeitlichen Disputation von Tortosa 1413-1414 polemisierte der Konvertit Hieronymus de Sancta fide gegen den jüdischen Gelehrten und Volksgefährten Josef Albo. Um 1420 kämpfte der Konvertit Josua ben Josef Lorki aggressiv gegen angebliche, ihm von seiner Herkunft her bekannte jüdische Verstockung Um 1500 schrieb der Katholik Johannes Pfefferkorn, wiederum ein Konvertit aus dem Judentum, mit scharfer und beleidigender Feder mehrere Bücher, z. B. den Judenspiegel, gegen die Juden. Dadurch wurde er zu einem wichtigen Initiator katholischer und dann auch protestantischer Judenhassereien, die bis ins 20. Jahrhundert hinein gang und gäbe waren. Der jüdische Sabbatianer Jakob Frank (1726-1791) trat in Polen mit vielen Anhängern zum Katholizismus über und wurde besonders in Osteuropa zu einem Unruhestifter.

Im 20. Jahrhundert trat die aus Breslau stammende Jüdin Edith Stein (geboren 1891) zum Katholizismus über und wurde im August 1942 als Karmelitin mit Namen Schwester Benedicta a Cruce in Auschwitz von den Nazis ermordet. Der Mord war ein Racheakt der Nazis wegen der Verurteilung der Judenverfolgung seitens der holländischen katholischen Bischöfe. Es ist begreiflich, daß Irritationen und Unmutsäußerungen seitens verschiedener Vertreter des jüdischen Volkes entstanden sind, als der Papst Schwester Benedicta a Cruce im Jahre 1987 selig- und im Jahre 1998 heiliggesprochen hat. Erinnerungen an die für das jüdische Volk unheilvollen jüdischen Apostaten zum Christentum hin wurden erneut wach. Wird durch die kirchliche Emporhebung dieser jüdischen und christlichen Frau seitens der katholischen Kirche etwa wiederum etwas aus dem jüdischen Volk herauszustehlen versucht? Geht es gar um eine indirekte Judenmission? Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Freiburger Rundbriefs sind angesichts des kritischen, für die katholische Kirche jedoch wichtigen Ereignisses der Heiligsprechung von Edith Stein der Überzeugung, daß klärende Worte und Fakten vor Juden und Christen vorzulegen sind. Deshalb wird der Aufsatz von Elias Füllenbach OP in dieser Nummer abgedruckt.

Edith Stein gleicht den eben aufgelisteten Vorgänger-Konvertiten in keiner Weise. Während ihres ganzen Lebens hat sie keine missionarischen Bemühungen unternommen, um Konvertiten aus dem Judentum hinüberzuziehen. Sie kämpfte tapfer gegen Rassismus, Antisemitismus und Nazismus. Sie versuchte kirchliche Behörden aus ihrer Lethargie angesichts des Nazi-Antisemitismus aufzurütteln. Als Christin wußte sie, daß sie zusammen mit dem Juden Jesus und dem ganzen Volk das unauslöschliche Merkmal des Judeseins in sich trug. Sie denunzierte Hitler als „Antichrist“, dem jede Zustimmung unter Einsatz des Lebens zu verweigern sei. Dem jüdischen Volk schrieb sie die volle Würde vor Gott und den Menschen zu. In ihrem Buch „Kreuzeswissenschaft“ (Studie über Ioannes a Cruce, Ausgabe 1950, S. 14) schrieb sie: „Wohl gehen Gottes Heilspläne auf die ganze Menschheit und um ihretwillen auf Sein auserwähltes Volk.“ Ihr Verfolgtwerden und ihr Tod war dem Leidens- und Todesschicksal der sechs Millionen ihres Volkes angenähert. An ihrer Ermordung sind auch Christen (z. B. durch Asylverweigerung) mitschuldig geworden. So ist sie für die Christen ein Teil des größten Mahnmals aller Zeiten, das aus Bergen von ermordeten Juden besteht. Es steht der katholischen Kirche trotzdem nicht gut an, mit der heiligen Edith Stein Propaganda beim jüdischen Volk zu machen. Vor allem darf diese Frau nicht als Alibi benützt werden, um Konvertiten aus dem jüdischen Volk zu werben. Am besten wäre es, wenn die neue Heilige in den Herzen möglichst vieler Christinnen und Christen Liebe, Zuneigung und Fürsorge für das jüdische Volk und seine Anliegen zu wecken vermöchte — weitab von jeglichem religiösem oder weltlichem Antisemitismus.


Jahrgang 6/1999 Seite 1



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