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Evangelischen Akademie Baden (Hg.)

Der Chassidismus

Leben zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Herrenalper Forum Band 15. Hg. von der Evangelischen Akademie Baden, Evangelischer Presseverband. Karlsruhe 1996. 135 Seiten.

Das Buch befaßt sich mit einer religiösen Strömung des Judentums, dem mystisch gestimmten Chassidismus. Es enthält keine systematische Darstellung, sondern besteht aus den Vorträgen einer Tagung der Evangelischen Akademie Baden vom 18.-20. November 1994 in Bad Herrenalp. Acht Vortragsredner befassen sich mit allgemeinen oder besonderen Seiten dieser Bewegung, die von Israel Ben Elieser (1700-1760), genannt Baal-Schem-Tov, was soviel bedeutet wie „Der Meister des guten Namens“ (10), gegründet wurde.

Im Vorwort deutet Klaus Nagorni den Chassidismus als Funke im religiösen Leben des Judentums. „Von der Heiligung des Alltags und der Erneuerung des Bewährten“ berichtet Pinchas Lapide und spricht nach einer Begriffsbeschreibung über die Geschichte der Bewegung, über die Verknüpfung von Gerechtigkeit und Liebe und führt an Beispielen die Erzählkunst als narrative Besonderheit der Frommenbewegung an. „Jüdische Mystik“ ist das Thema des Vortrags von Karl-Erich Grözinger, der damit auf eine Auseinandersetzung zwischen Gershom Scholem und Martin Buber eingeht, die Phasen, Stufen und Beschreibungsarten jüdischer Mystik anführt, besonders auf das Alef als Sammelbecken göttlicher Macht zu sprechen kommt, die Freude als besonderes Merkmal der Bewegung betont und zum Abschluß über die Schüler des Baal Schem Tov spricht. Monica Rüthers legt unter „Elend und Ekstase“ den unmittelbaren Ursprung des Chassidismus im osteuropäischen Judentum des 17. Jahrhunderts und dessen Ausbreitung bis hin zum Neo-Chassidismus im 20. Jahrhundert dar. Es folgen Sonderstudien von Gerhard Wehr über den „Chassidismus im Leben und Werk Martin Bubers“ und von Fritz A. Rothschild über ein „Leben zwischen Verzweiflung und Hoffnung, Abraham Heschel als Interpret des Chassidismus“. Eine „Literarische Darstellung des Chassidismus bei deutsch-jüdischen Autoren“ von Renate Heuer schließt die Vortragsreihe ab. Am Ende stehen zwei Predigten im Rahmen des christlich-jüdischen Gottesdienstes; die erste von Gérald Rosenfeld über das Thema „Der Gerechte blüht wie die Palme“ stellt Noach als den „Zaddik (Gerechten) in seinen Zeiten“ (129) vor und wendet sein Leben vor, in und nach der Sintflut auf die drei Phasen vor, in und nach der Schoa an. In der zweiten deutet Klaus Nagorni die „Versunkene Welten“ der Gesichter, Sprachen und Gräber entgegen aller Skepsis vor der Unbegreiflichkeit des Todes aus dem vom Chassidismus entzündeten Funken des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.

Eine inhaltliche Besonderheit des Chassidismus ist sein monistischer Pantheismus oder Panentheismus, dem auch andere mystische Bewegungen zuneigen: „Wo alle Welt ein Ausfluß des absoluten Guten ist, kann es wesenhaft kein Böses geben. Baal Schem Tov sagt, das, was uns böse erscheint, ist gar nicht böse, denn auch das ist ein Ausfluß aus der einen guten Gottheit. Recht gesehen ist auch das, was uns böse erscheint, ein Teil aus Gottes Güte, das Böse ist ein Thron auch für das Gute ...“ (33). Wie sehr eine solche Sicht in Spannung zur Schoa steht, ist überdeutlich, auch wenn sie noch so glättend gedeutet wird: „Man wagt es eigentlich kaum zu sagen, aber dieses Denken hat sicherlich vielen Juden geholfen zu sagen, hier, selbst in der Dunkelheit der Schoa, ist noch Gott verborgen, ein Weg, um eben angesichts solcher schrecklicher Ereignisse nicht in Gottesverzweiflung zu stürzen“ (33). Hat es schon eine dualistische Weltanschauung schwer, die Schoa mit einem liebenden Gott zu vereinbaren, so ist für eine pantheistische Weltdeutung im Rückblick auf den Holocaust kaum noch Platz.

Die Vortragsreihe hilft dem, der weiß, was Chassidismus ist, sein Wissen darüber zu erweitern, wie es auch die Absicht von Tagungsvorträgen zu Sonderaspekten einer solchen Thematik ist.

Bernd Bothe


Jahrgang 4/1997 Seite 49



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