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Gertrud Luckner
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Zwei Dokumente

Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden

Eine Handreichung der Theologischen Kommission der AcK (Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen) Nürnberg an alle, die zu predigen oder im Raum der Kirche zu reden haben.

Im Jahr 1995 haben die Kirchen auch in Nürnberg auf vielfältige Weise an das Ende des Zweiten Weltkriegs und der Nazi-Diktatur erinnert. Christen aller Konfessionen sind —  nach Auschwitz —  hellhörig und sensibel hinsichtlich der Frage nach Israel geworden.

Als Papst Johannes Paul II. vor zehn Jahren, am 13. April 1986, die römische Synagoge besuchte, sagte er: „Die jüdische Religion ist für uns nicht etwas ,Äußerliches‘, sondern gehört in gewisser Weise zum ,Inneren‘ unserer Religion. Ihr seid unsere bevorzugten Brüder.“

Die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland beschloß 1993, den Gemeinden und Kirchenkreisen vorzuschlagen, den Grundartikel der rheinischen Kirchenordnung um folgende Passage zu ergänzen: „Sie (die Kirche) bezeugt die Treue Gottes, der an der Erwählung seines Volkes Israel festhält. Mit Israel hofft sie auf einen neuen Himmel und eine neue Erde.“ Seitdem beschäftigt eine lebhafte Diskussion über das heilsgeschichtliche Verhältnis von Kirche und Israel nicht nur die evangelischen Kirchen. Neben Zustimmung gibt es auch kritische Abgrenzung und spektakuläre Programme zur Judenmission, zumal unter jüdischen Einwanderern aus Osteuropa.

(4.) Die Theologische Kommission der AcK Nürnberg hält gerade im Blick auf die antisemitische Vergangenheit in Deutschland und im Bewußtsein eines latenten, immer noch unreflektierten Antijudaismus in gegenwärtiger kirchlicher Rede und Bibelauslegung und in liturgischen Formularen eine Thematisierung dieses Problems für notwendig und relevant.

(5.) Im Folgenden gibt die Theologische Kommission einige Ergebnisse dieses Gesprächs (1), Erwägungen für die Praxis (2) sowie Hinweise für die Arbeit vor Ort (3) weiter.

1. Ergebnisse unseres Gesprächs

(1.) Das Christentum steht in einer einzigartigen Beziehung zum Judentum. Jesus und seine Jünger waren Juden. Die Urgemeinde entstand zunächst im Judentum. Die Heilige Schrift der Juden ist ein wesentlicher Bestandteil der Heiligen Schrift der Christen. Christentum und Judentum sind durch eine gemeinsame Offenbarungs- und Heilsgeschichte verbunden. In wichtigen Glaubensinhalten (Gott, Schöpfung, Anthropologie) stimmen sie weitgehend überein.

(2.) Der Bund Gottes mit Israel ist nicht aufgekündigt. Daß Israel enterbt und durch die Kirche ersetzt worden sei, erwies sich als verhängnisvoller, unbiblischer, Leid und Verfolgung nach sich ziehender Trugschluß.

(3.) Dabei sollen aber nicht die Gemeinsamkeiten unserer Glaubenstraditionen überpointiert herausgestrichen und andererseits gravierende Unterschiede in ihrer Bedeutung heruntergespielt werden.

(4.) Das Judentum stellt gegenüber dem Christentum eine eigenständige Religion dar. Die Trennung zwischen Christentum und Judentum erfolgte, wie die Antijudaismen im Neuen Testament zeigen, bereits im ersten Jahrhundert. Seither wurde sie eher vertieft als überwunden, wie die umfangreiche Literatur zur Geschichte des christlichen Antisemitismus beweist.

(5.) Das Christentum grenzt die Bibel als Altes Testament vom Neuen Testament ab und interpretiert das Alte Testament von Jesus Christus her. Das Judentum beansprucht für sich das Recht auf eine eigenständige Interpretation des Neuen Testaments und der Geschichte des Christentums von jüdischen Voraussetzungen aus. Zentrale christliche Glaubensinhalte (Trinität, Christologie, Ekklesiologie, Sakramente) werden vom Judentum abgelehnt.

(6.) Die christlichen Kirchen behandeln in ihren neueren Verlautbarungen das Judentum als eine eigenständige, dem Christentum ebenbürtig gegenüberstehende Religion.

(7.) Wir sind überzeugt, daß die Kirche auch in der Trennung an der Seite Israels bleiben muß, anstatt sich auf Kosten Israels zu profilieren, wie es im Grunde die ganze Kirchengeschichte hindurch geschehen ist.

2. Erwägungen für die Praxis

(1.) Antisemitismus hat sich stets auch an antijudaistischer Bibelauslegung legitimiert. Nach Auschwitz kann man das nicht übersehen. In der biblischen Exegese und kirchlichen Rede ist daher Antijudaismus zu vermeiden.

(2.) Die antijudaistischen Formulierungen des Neuen Testaments dürfen nicht als verpflichtender Offenbarungsinhalt aufgefaßt werden, sondern nur als zeitbedingter Ausdruck der sich verschärfenden Spannungen zwischen den beiden Glaubensrichtungen.

(3.) Gemäß Röm 9-11 bleibt Israel in der Kindschaft Gottes. „Alle eingeschlossen in den Ungehorsam“ (11,32) steht jeder christlichen Überheblichkeit gegenüber dem erwählten Israel entgegen. Es bleibt für alle, Juden und Christen, nur die Homologie 11,33-36. „Christus als Stein des Anstoßes“ (9,32) gilt nicht nur für Juden, auch für Christen.

(4.) Das Johannesevangelium ist nach der Trennung von Kirche und Synagoge verfaßt. Es benutzt „Jude“ als Etikett für das, was man ablehnt und wogegen man sich abgrenzt, so wie „Luther“ z. B. in den deutschsprachigen evang.-luth. Gemeinden Brasiliens, bis 1945, identitätsstiftendes Etikett für Deutschtum war, mit dem man sich gegen alles Katholische und Romanistische abgrenzte. „Juden“ ist bei Johannes Korporativbegriff für die, die nicht an Jesus Christus glauben. An heilsgeschichtlichen Fragen ist das Johannesevangelium im übrigen nicht interessiert.

(5.) Das Selbstverständnis des Christentums als „neues Volk Gottes“ darf nicht exklusiv im Sinne einer Usurpation der Vorzüge des Volkes Israel durch die christliche Kirche interpretiert werden. Das christliche Zeugnis gegenüber Juden hat den „ungekündigten Bund“ Gottes mit dem von ihm erwählten Volk Israel zu berücksichtigen und sich jeder systematischen Missionierungskampagne zu enthalten.

(6.) Die Christen müssen sich der Gefahr bewußt sein, durch ihre Interpretation der Beziehung zwischen Christentum und Judentum wieder einmal recht behalten zu wollen und damit ihrer verhängnisvollen Geschichte ein weiteres düsteres Kapitel hinzuzufügen.

(7.) Das Judentum darf nicht mit anderen nichtchristlichen Religionen auf eine Stufe gestellt werden.

(8.) Nicht das ist ein Dialog, wenn wir als Christen Themen und Kriterien vorgeben. Aus dem, was Juden uns zu sagen haben, ergeben sich als Themen z. B. das Gottesverständnis, die Erwählung, der Staat Israel und die Erlösung.

(9.) Die einzig angemessene Form von Mission gegenüber Juden ist „das Licht auf dem Leuchter“, die „Stadt auf dem Berge“: nicht Proselytenmacherei, sondern Ausstrahlung einer glaubwürdigen Kirche.

(10.) Die Theologische Kommission weist nachdrücklich auf die „Selbstverpflichtung für Prediger“ hin, die Helmut Barie, Direktor des Evangelischen Predigerseminars in Heidelberg, 1988 aufgestellt hat und von denen wir einige zitieren:

„Wo mir ein Text des Alten Testaments für die Predigt gegeben ist, will ich dieses Gotteswort dem Volk Israel weder heimlich stehlen noch mit theologischer Legitimierung enteignen, sondern mich bemühen, so zu predigen, daß deutlich wird: Wir Christen sind Teilnehmer, sind Miterben am Reichtum Israels; wir dürfen die Gottesworte des Alten Bundes ,zu gesegnetem Gebrauch‘ benutzen.“

„Bei Texten des Neuen Testaments will ich beachten, daß ich auch in ihnen häufig in stattlichem Umfang auf zitierte Texte des Alten Bundes stoße.“

„Ich will mich um eine vertiefte Kenntnis des jüdischen Gottesdienstes, der Sabbatheiligung und der jüdischen Wurzeln der christlichen Liturgie bemühen und immer wieder die Gelegenheit nutzen, durch Predigten diese Wurzeln auch für die Gemeinde aufzudecken. Wer weiß, woher er stammt, bleibt (wie Röm 11,17-24 lehrt) vor Überheblichkeit bewahrt.“

„Wo ich davon spreche, daß Nicht-Juden Anteil bekommen haben an den Verheißungen Israels, will ich bis in meine Formulierungen hinein beachten, daß Gott gnädig gehandelt hat, als er den Heiden den glaubenden Zugang zu Israels Verheißungen eröffnete. Dieser Zugang bleibt allein aus Gnade offen, gewährt also keine ,securitas‘, sondern ,certitudo‘, Glaubensgewißheit.“

„Ich will die Schmerzen, die aus der durch Christen und unter Duldung von Christen inszenierten Judenverfolgung erwachsen sind, nicht meinen homiletischen Absichten dienstbar machen. Das Ausmaß der Schrecken und die Ehrfurcht vor denen, die sie erduldet haben, verbietet es mir, die Leiden der Juden beliebig oder leichtfertig als Beispiel heranzuziehen.“

„Die Frage, wo denn die mit dem Kommen des Messias verknüpften messianischen Zustände blieben, werde ich mir von den Juden gefallen lassen.“

„Meine theologische Erkenntnis und meine Predigt sollen sich leiten lassen von der Glaubenszuversicht: Wir haben Anteil an der Gnade, die Gott verschwenderisch über dieses eine, vom ihm erwählte Volk ausgeschüttet hat. Ja, unser Anteil an der Zukunft Israels ist so groß, daß wir ihn in Ewigkeit nicht ausschöpfen können.“

3. Hinweise auf die Situation vor Ort

(1.) Mehr alttestamentliche Lesungen und Predigten über Texte aus dem Alten Testament in unseren Gottesdiensten.

(2.) Besuche in den Synagogen in Nürnberg und Fürth.

(3.) Anmeldung in Nürnberg bei: Israelitische Kultusgemeinde, c/o Stadtrat Arno S. Hamburger (Vorsitzender), Johann-Priem-Straße 20, 90411 Nürnberg, Tel.: (0911) 56 25-0. Anmeldung in Fürth bei: Israelitische Kultusgemeinde, Blumenstraße 31, 90762 Fürth/Bayern, Tel.: (0911) 77 08 79.Besuche auf den Friedhöfen der Kultusgemeinden in Nürnberg an der Bärenschanzstraße und der Schnieglinger Straße sowie in Fürth an der Erlanger Straße (Anmeldung s. o.).

(4.) Informationen zum entstehenden Mittelfränkischen Jüdischen Museum in Fürth erhält man bei der Vorsitzenden des Fördervereins: Helga Pavlicek, Kaiserstraße 6, 90763 Fürth/Bayern, Tel.: (0911) 71 39 73. Auch ein Besuch im „Judenhof“ des Fränkische-Schweiz-Museums in Tüchersfeld lohnt sich.

(5.) Im Bereich der Aus- und Fortbildung sollte die Sichtung der Tradition (die vielfältigen Beziehungen von Christentum und Judentum und die Wurzeln des Antisemitismus) auf dem Programm stehen, und zwar schon für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Kindergottesdienst und Kindergarten.

(6.) Veranstaltungen, Einführungen, Kurse zum Thema sowie Reisen nach Israel bieten z. B. an:
— Begegnungen von Christen und Juden e. V. (BCJ), Geschäftsstelle Altendettelsau 11a, 91580 Petersaurach, Tel./Fax: (09874) 29 46, Pfarrerin Christiane Müller.
— Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Franken e. V., Tuchergartenstraße 4, 90409 Nürnberg, Tel. (0911) 55 70 58.
— Studienzentrum Heilig Geist, Caritas-Pirckheimer-Haus, das Bildungszentrum der Stadt Nürnberg und einzelne Kirchengemeinden.

(7.) Die verfaßten Kirchen sollten
— den Dialog mit den Juden zum Schwerpunktthema bei Synoden machen
— regelmäßige Kontakte zu den Israelitischen Kultusgemeinden pflegen
— eine/n landeskirchliche/n Beauftragte/n bestimmen.


Erklärung des Dekanatsausschusses der Evang.-Luth. Dekanatssynode Nürnberg

zum Lutherjahr 1996

Der Dekanatsausschuß nimmt die Erklärung der Ev.-Luth. Kirche in Amerika an die Jüdische Gemeinschaft dankbar und zustimmend zur Kenntnis und sieht in ihr seine eigene Meinung zu dem darin angesprochenen Problem wiedergegeben.

Im Einklang mit dieser Erklärung und der darin enthaltenen Verpflichtung begehen wir das Lutherjahr 1996.

Erklärung der Ev.-Luth. Kirche in Amerika an die Jüdische Gemeinschaft

„In der langen Geschichte des Christentums gibt es keine tragischere Entwicklung als die Behandlung des jüdischen Volkes durch die Christen. Nur wenige christliche Glaubensgemeinschaften vermochten es, sich dem verderblichen Einfluß des Antijudaismus und seines modernen Nachfolgers, des Antisemitismus, zu entziehen. Lutheraner, die zum Lutherischen Weltbund und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika gehören, empfinden dabei eine besondere Belastung wegen bestimmter Elemente in der Erbschaft des Reformators Martin Luther und wegen der Katastrophen, einschließlich des Holocaust im 20. Jahrhundert, die Juden in Gegenden erleiden mußten, in denen lutherische Kirchen stark repräsentiert waren.

Die lutherische Glaubensgemeinschaft ist durch ihren Namen und ihr Erbe dem Gedächtnis des Lehrers und Reformators Martin Luther verpflichtet. Indem wir seinen Namen in unserem eigenen ehren, gedenken wir seines mutigen Eintretens für die Wahrheit, seiner kräftigen und zugleich erhabenen weisen Worte und vor allem seiner Bezeugung des rettenden Wortes Gottes. Luther verkündigte sein Evangelium für uns Menschen, wie wir wirklich sind, indem er uns geheißen hat, der Gnade zu vertrauen, die unsere tiefste Schmach erreichen und unsere tragischsten Wahrheiten ansprechen kann.

Im Geiste dieser Wahrhaftigkeit müssen wir, die wir seinen Namen und sein Erbe tragen, mit Schmerz auch Luthers antijüdische Schmähungen und die gewalttätigen Empfehlungen in seinen späteren Schriften gegen die Juden zur Kenntnis nehmen. Wie schon viele von Luthers eigenen Gefährten im 16. Jahrhundert weisen wir diese verletzenden Schmähungen zurück und drücken darüber hinaus unser tiefes und bleibendes Gefühl des Schmerzes über deren tragische Folgen für die nachkommenden Generationen aus. In Übereinstimmung mit dem Lutherischen Weltbund beklagen wir besonders die Verwendung von Luthers Aussagen durch moderne Antisemiten für ihre Lehre des Hasses gegen das Judentum oder gegen das jüdische Volk unserer Zeit.

Indem wir die Mitschuld unserer eigenen Tradition innerhalb dieser Geschichte beklagen, sprechen wir zugleich unseren dringenden Wunsch aus, künftig unseren Glauben an Jesus Christus verbunden mit Liebe und Respekt gegenüber dem jüdischen Volk zu leben. Wir erkennen im Antisemitismus einen Gegensatz und eine Beleidigung des Evangeliums, einen Verstoß gegen unsere Hoffnung und Berufung. Wir verpflichten unsere Kirche, gegen das tödliche Wirken solcher Intoleranz zu kämpfen, in unseren eigenen Kreisen ebenso wie in der uns umgebenden Gesellschaft. Schließlich bitten wir um den bleibenden Segen Gottes für die wachsende Zusammenarbeit und das zunehmende Verständnis zwischen lutherischen Christen und der jüdischen Gemeinschaft.“

15. April 1996


Jahrgang 4/1997 Seite 25



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