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Margarete Schlüter

Die Briefe Gershom Scholems

Der hundertste Geburtstag Gershom Scholems (1897-1982) wirft seine Schatten voraus und bietet den willkommenen Anlaß zur Publikation auch persönlicher Dokumente wie seiner frühen Tagebücher oder (einer Auswahl) seiner Briefe.* Der erste Band der auf drei Bände angelegten Briefedition umfaßt die 34 Jahre zwischen Scholems 16. und 50. Lebensjahr, 1914-1947, also die Zeitspanne vom Ausbruch des 1. Weltkriegs bis zwei Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs. Der zweite Band umfaßt die 23 Jahre bis in Scholems 73. Jahr, 1948-1970.

Für den ersten Band wurden aus rund 1500 Briefen Scholems 133 (plus 8 an ihn) ausgewählt, für den zweiten Band 145 aus rund 1000 (plus ebenfalls 8 an ihn). Es handelt sich überwiegend um Briefe in deutscher Sprache sowie einige in englisch und hebräisch; letztere werden in einer manchmal etwas freien und eigenwilligen, sich an Scholems deutschen Briefstil orientierenden Übersetzung geboten und im Anmerkungsteil im Original abgedruckt.

Rund die Hälfte der Briefe des ersten Bandes stammen aus den drei Scholem entscheidend prägenden Jahren 1916-1918, während die Briefe in den übrigen Jahren eher tröpfeln, und manche Jahre sogar ganz ohne Brief bleiben. Der zweite Band verzeichnet die größte Briefdichte in den sechziger Jahren; das Jahr 1965 ist mit 24 Briefen das „ertragreichste“.

Wie schon die Anzahl der im Durchschnitt nur gut 10% der erhaltenen Briefe des hier in Rede stehenden Zeitraums verdeutlicht, so erlaubt natürlich auch die sehr ungleiche Streuung der Briefe weder ein lückenloses Verfolgen von Scholems Lebensweg noch auch seines Denk- und Arbeitsprozesses. Nicht lückenlose Dokumentation ist das Ziel dieser Briefauswahl, sondern Schwerpunktsetzung nach Themen, Entwicklungssträngen oder auch Briefpartnern. Angesichts der Koinzidenz, daß sich 1997 Scholems Geburtstag zum hundertstenmal jährt wie auch der erste Zionistenkongreß in Basel, wird dem Thema Zionismus in Scholems Briefen besonderes Augenmerk geschenkt.

Den ersten der (erhaltenen) Briefe schreibt Scholem als knapp Sechzehneinhalbjähriger, auch wenn er später im Rückblick diese frühen Jahre sicher zu Recht als Jahre des Schwankens und Suchens charakterisierte. Es erstaunt die Sicherheit und Kompromißlosigkeit, mit der er Konsequenzen aus seinen bereits gefundenen Grundsätzen zieht und — nach kaum halbjähriger Mitgliedschaft — seinen Austritt aus der Jugendgruppe der „Agudass Jissroël“ begründet: „Die Grundsätze, die die Majorität [der Gruppe] vertritt und ihre Anschauungen über das Wesen der Aguddah decken sich nicht mit den Grundsätzen und Idealen, die ich vertrete und deren Durchführung ich von der Aguddah erhoffte“ (I, 3). Diese hier nicht explizit genannten Grundsätze ziehen sich wie ein roter Faden durch die Briefe. Zentrales Thema von Scholems Leben war der Zionismus — wichtiger noch als die Kabbala, als deren Erforscher er weltweit bekannt wurde. Der Zionismus war das Zentrum, auf das er hin und aus dem heraus er lebte und arbeitete. Der (geistige) Kampf um Zion, der für ihn identisch war mit dem Kampf für das Jüdische, war Ausgangs- und Zielpunkt seines Denkens und Handelns. Zion führte ihn zur Kabbala, nicht umgekehrt die Kabbala zu Zion — wie er selbst als fast Siebzigjähriger andeutete: „Dass ich nicht von der Kabbala zum Zionismus gekommen bin, ist evident, und man braucht also das Problem nicht aufzuwerfen. Das Umgekehrte wäre wenigstens des Schweisses der Edlen wert“ (II,189). In Brief 10 (1916) bringt er es auf den Punkt: „Ich tue in dieser ganzen Zeit schon nichts anderes, als mich neu aufzubauen: so, als ob auf der ganzen Welt nur Gott, Zion und ich wären, ... und hier baue ich mir meinen Zionismus so stark auf, daß ich mein Leben darauf werde bauen können, ohne Furcht, daß es je erschüttert werden könnte“ (I, 36).

Die Suche nach diesem „meinen Zionismus“ geht für Scholem, der sich als „ohne jüdische Kindheit“ aufgewachsen bezeichnet, einher mit dem Erkenntnisdrang nach dem Inhalt des Judentums, dem Streben nach „Reinheit“ und „Heiligkeit“. Für ihn gehören früh schon Religion und Wissenschaft zusammen, und so sehr er sich ein Leben lang als Zweifler und Skeptiker bezeichnet, so klar verweist er auch auf den engen Zusammenhang „meine(r) religiöse(n) Überzeugung mit meinen geschichtlichen Erkenntnissen“ (II, 191). Mit ungeheurer Energie versenkt er sich seit frühester Jugend in das (großenteils Selbst-)Studium der Quellen des Judentums. Erbittert bekämpft er jeglichen Dilettantismus — „Tiefsinn“ ohne Quellenstudium ist ihm ein Greuel. Intensität, Fülle und Breite seiner Studien, über die er seinen Freunden in vielen Briefen berichtet, bleiben staunenswert. Der absolute Maßstab, vor dem beinahe nichts und niemand bestehen konnte, galt zuvörderst ihm selbst, oder richtiger: er entwickelte ihn aus sich heraus. Und immer wieder „Hebräisch, Hebräisch, Hebräisch“. Die Sprache wird ihm zum Schlüssel der Erkenntnis. Aber noch nachdem er u. a. bereits schwierige hebräische Bibeltexte so übersetzt hat, daß seinen (privaten) Lesern darüber die Augen der Erkenntnis (etwa gegenüber der Luther-Übersetzung) aufgingen, schreibt er 1918, er habe in sieben langen Jahren noch nicht einmal Hebräisch gelernt. „Jedenfalls nach meinen Begriffen noch gar nichts!“ (I, 185). Seine zunehmende Sicherheit drückt sich dann auch in der Beurteilung der Übersetzungs- und/oder Dichterleistung anderer aus: Hielt er 1921 Franz Rosenzweigs Übersetzung des „Tischdanks“ noch „für sehr bedeutend“ (I, 214), lehnte er 1925 — nachdem er bereits zwei Jahre in Jerusalem lebte — dessen „Juda Halewi Übersetzung“ als „sehr schlecht“ ab und bescheinigte der Buber-Rosenzweigschen Bibelübersetzung „ausgesprochen falsches Pathos“ (I, 230. 231). Die zeitgenössische hebräische Lyrik lehnte er völlig ab, einschließlich oder gerade Bialiks, den er aber immerhin als das „Opfer“ bezeichnet, „das der Erneuerung der [hebräischen] Sprache gebracht werden mußte“ (I, 233).

Neben der Judaistik — wie Scholem seine „jüdischen Studien“ schon früh nennt — beschäftigt er sich mit kaum geringerer Intensität mit Mathematik und Philosophie. Diese Studien ziehen ihn nicht vom Jüdischen ab, im Gegenteil: „Zion und die Mathematik“ sind für ihn „identische Dinge, und die Astronomie die Lehre von den inneren Gesetzen des Zionismus“ (1,53).

Scholem pflegt also sehr eigenständige und radikale Zions-Vorstellungen, die mit dem Herzl-Zionismus und seinen Vertretern nichts im Sinn haben. Seine engsten Freunde stellt er vor die Alternative: „Bist du Zionist oder Nationaljude?“, da „das reine Nationaljudentum ... noch leer und schematisch erscheint“. Nicht „Judentum schlechthin“ ist das Ziel, „sondern gestaltetes Judentum“ (I, 166 f.). Die Betonung der „Totalität des Judentums“ und der „ethische(n) Seite des Zionismus“, die er eloquent und argumentativ in etlichen Grundsatzbriefen an „Freund und Feind“ forderte, bringt ihn trotz aller Einwände noch am ehesten in gewisse Nähe zu Achad Haam (I, 55. 108. 117), während ihm „Buber das ,Antijüdische schlechthin‘ ist“ (I, 93).

Die Konzentration auf das wahrhaft Zionistische steht für Scholem in radikalem Gegensatz nicht nur zu allem Deutschen, sondern auch in scharfer Ablehnung alles „Deutschjüdischen“. Daher geht ihm auch jedes Verständnis für Juden ab, die sich im 1. Weltkrieg patriotisch gebärden. Tatsächlich brachte er es 1917 nach seiner Einberufung fertig, „nach wenig mehr als zwei Monaten als ,Psychopath‘ unter der Kategorie ,zeitweise dienstuntauglich‘ entlassen“ zu werden (I, 358 f.; vgl. Brief 35). Das ist nicht mit Drückebergerei zu verwechseln — es ist einfach nicht sein Krieg: „Mich hat der Zionismus auch zu jener höchsten Anstrengung fähig gemacht: am Abgrund vor dem Irrsinn sicher zu passieren. Das eine Bewußtsein: daß ich gebraucht werde, daß jüdische Seelen nicht geopfert werden dürfen, hat mich in jeder Stunde — buchstäblich! — getrieben und aufrechterhalten“ (I, 101).

Obwohl Scholem den Zionismus nicht als „Bewegung“ sah, schon gar nicht als politische (z. B. Brief 82), sondern als „Lebenshaltung“ (I, 166), und von daher der „Aufbau Palästinas“ und der Zionismus für ihn zwei völlig verschiedene Dinge waren, war es für ihn von jeher selbstverständlich, daß er diese Lebenshaltung auch geographisch in Zion leben wollte und mußte.

Konsequenterweise verläßt er unmittelbar nach seiner Promotion im September 1923 Deutschland, um fortan bis zu seinem Tod 1982 in Jerusalem zu leben. Seine Äußerungen zum Zionismus werden nun seltener und — bis auf allerdings wichtige Ausnahmen — weniger grundsätzlich. Daß das Aufeinanderprallen von „Palästina“ und „Zion“, dessen Möglichkeit er 1919 bereits andeutete (I, 194) und das er 1924 als gelebte Wirklichkeit umschreibt (I, 222), schon bald mit dem Sieg (des Aufbaus) Palästinas und dem Abdanken des (von ihm erstrebten) Zionismus enden sollte, konstatiert Scholem nach zweijährigem Aufenthalt völlig illusionslos in einem Brief an Ernst Simon: „Die Illusion, daß das, was jetzt hier geschieht und geschehen wird, ... noch irgend etwas in substantia et essentia mit dem Zionismus zu tun hat, in dessen Namen Ihr Knecht hier ist, diese Illusion sollte man nirgends aufkommen lassen“ (I, 228). Auch wenn Scholem Jahrzehnte später sein frühes Zion-Ideal als „Traum“ charakterisierte, so wäre es sicher verfehlt, von einer Metamorphose dieses Ideals zu sprechen. Das Ideal sah er wohl als gescheitert an, aber er war Realist (und später offenbar auch Pragmatiker) genug, sich den sich wandelnden Gegebenheiten (z. B. arabisch-jüdische Auseinandersetzungen, Massenimmigration jüdischer Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland) nicht zu verweigern. 1946, ein knappes Jahr nach Kriegsende, gut zwei Jahre vor Gründung des Staates Israel, setzt er sich sehr grundsätzlich mit Hannah Arendt, die er noch 1941 als „ausgezeichnete Zionistin“ bezeichnet hatte (I, 293), auseinander. Anläßlich ihres Aufsatzes „Zionism reconsidered“ weicht diese Einschätzung dem enttäuschten und verbitterten Vorwurf des „dummen“ und sogar „zynischen“ Antizionismus: „Ich hätte nie geglaubt, daß es mir leichter sein würde, mich mehr mit Ben Gurion zu verständigen als mit Ihnen! ... Ich halte Ben Gurions politische Linie für ein Unglück, aber immer noch für ein edleres und sogar kleineres als das, was uns bevorsteht, wenn wir Ihnen folgen“ (I, 314). Hier liegt auch der Keim, der in den sechziger Jahren — nach zwischenzeitlich durchaus wieder freundschaftlichen Beziehungen (II, 75 f.)— infolge von Arendts Berichten über den Eichmannprozeß und der Auseinandersetzung über die „Banalität des Bösen“ zum endgültigen Zerwürfnis führte (II, 105-111).

Scholems frühes Zion(ismus)-Verständnis, sein Streben nach der Wiedergewinnung des Jüdischen, geht klar einher mit seiner Auffassung des Verhältnisses von Juden und Nichtjuden, speziell Juden und Deutschen, zwischen denen er eine klare und eindeutige Trennlinie sieht: die zwischen zwei Völkern. Alles Assimilatorische ist ihm zuwider und Ausdruck trügerischer und würdeloser Anbiederung. 1933 ist ihm entsetzliche Bestätigung: „Daß sich niemand irgendwelche Illusionen über die Tragweite dieser historischen Ereignisse macht, und am wenigsten wir, deren traurige Prognosen über das Schicksal der deutschen Juden nun nicht nur erfüllt, sondern tausendfach übertroffen worden sind“ (I, 252). Nach dem Krieg — und der Schoa –, „da alle gesiegt haben und nur wir besiegt wurden“ (I, 297), scheint der Abgrund zwischen Juden und Deutschen unüberbrückbar, das Kapitel Juden und Deutsche beendet. Scholems Eindrücke aus dem Nachkriegsdeutschland sind derart, daß er es sogar ablehnt, seine längst nicht mehr in seiner Muttersprache verfaßten Bücher in einer deutschen Ausgabe erscheinen zu lassen, und er staunt, daß Juden „in dieser Luft atmen können“ (II, 14). Seine Bemerkungen und Analysen des deutsch-jüdischen und des jüdisch-deutschen Verhältnisses sind (für Deutsche) zweifellos eine der wichtigsten thematischen Linien, die den zweiten Briefband durchziehen. Wie er in seinen wissenschaftlichen Urteilen scharf und kompromißlos war, so klar und kompromißlos wandte er sich gegen falsche Töne und gegen alles ihm verlogen und heuchlerisch scheinende. Dagegen äußerte er sich „tief ergriffen“, wenn, leider allzu selten, jemand in einem Ton sprach, „in dem vielleicht (vielleicht) die einzige Hoffnung zu einer Versöhnung steckt“ (II, 31 f.). Doch verweigerte er sich jedem noch so gut gemeinten Ansinnen, wenn er die Grenze verwischt sah. Berühmt geworden ist sein erstmals 1964 — unter dem Titel „Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch“ — publizierter Brief, in dem er sich „entschieden ... der Einladung versagen (muss), jener mir unfassbaren Illusion von einem ,im Kern unzerstörbaren deutsch-jüdischen Gespräch‘ Nahrung zu liefern ... Zu einem Gespräch gehören zwei, die aufeinander hören, die bereit sind, den anderen in dem, was er ist und darstellt, wahrzunehmen und ihm zu erwidern. Nichts kann irreführender sein, als solchen Begriff auf die Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Juden in den letzten 200 Jahren anzuwenden. Dieses Gespräch erstarb in seinen ersten Anfängen und ist nie zustande gekommen“ (II, 87). Zugleich wendet sich Scholem mit Nachdruck gegen „eine nachträgliche Neigung, die Juden, die man als Juden totgeschlagen hat, nun mit einem posthumen Triumph wieder für die Deutschen in Anspruch zu nehmen“ (II, 129). Für sein entscheidend vom Zionismus geprägtes Denken (und Fühlen) bedeutete ein anderer Standpunkt die tiefste Verletzung des Jüdischen schlechthin; und in scharfem Protest wandte er sich z. B. gegen eine anläßlich der Gründung der deutsch-israelischen Gesellschaft von Adolf Arndt gehaltene (und im „Freiburger Rundbrief“ 18/1966, 63-67 gedruckte) Rede. In ihr sah er die „historische[n] Identität der Juden ... mit Hohn übergossen“ (II, 167).

Beide Briefbände werden vom jeweiligen Herausgeber eingeleitet und verfügen über einen umfangreichen Anhang, aus dem in Band I die ausführliche Leben und Werk verschränkende Zeittafel besonders positiv hervorzuheben ist. Herzstück des Anhangs sind jeweils die Anmerkungen zu den Briefen, in denen oft umfangreiche Zitate u. a. aus Briefen der Adressaten angefügt werden, die das Verständnis des Zusammenhangs vielfach entscheidend erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen. Darüber hinaus dienen Scholems autobiographische Schriften, einschließlich der (jüngst publizierten) frühen Tagebücher als wichtige Quelle der Kommentierung.

Bei dem Umfang des Anhangs und der Fülle der Anmerkungen kann es kaum ausbleiben, daß sich Fehler einschleichen, und sicherlich wäre es kleinlich, diese im einzelnen aufzulisten — insbesondere, wenn es sich um eher unerhebliche handelt. Auch kleinere Fehlübersetzungen oder Ungenauigkeiten (z. B. heißt Matnitin wörtlich keineswegs „kleine Mischna“, sondern „unsere Mischna“ oder einfach „Mischna“; die so bezeichneten Stücke sollen im mittelalterlichen Zohar-Kontext gerade die Frühzeit „unserer Mischna“ vortäuschen und sind kaum gravierend. Wenn jedoch erklärt wird, das Tetragramm JHWH stehe „für ,Jahweh‘ und ,Jehovah‘ (I, 408 Anm. 8), so stehen einem die Haare zu Berge. Und wie man jordej hamerkawa mit „Die Nachkommen ...“ (I, 424 Anm. 20) übersetzen kann, obwohl die richtige Bedeutung leicht in Scholems Schriften aufzufinden ist, bleibt unerfindlich. Geradezu peinlich liest sich die Verwechslung des Talmudgelehrten Rabba' mit dem rabbinischen Midraschwerk Bereschit Rabba und die damit verbundene Aussage, diese Stelle habe „nicht ermittelt werden können“ (I, 231 mit Anm. g und 16). Scholems Anspielung bezieht sich auf Rabba's Dictum im babylonischen Talmud bSan 65b: „Wenn die Gerechten wollten, schüfen sie eine Welt!“ Finden sich solche „Unzulänglichkeiten“ innerhalb nur weniger Seiten, scheint die Warnung angebracht, sich nicht ungeprüft auf die Kommentierung zu verlassen.

Auch Band II bietet allerlei Ungereimtheiten: Merkwürdig ist beispielsweise die „Ableitung“ Golah von „hebr. Galut“ (II, 4 mit Anm. 5) oder auch die mehrmalige Fehlübersetzung „Mit Segensgruß und Schalom“ (II, 11 mit Anm. 6.45) usw. Überhaupt scheint die letzte kontrollierende Durchsicht entfallen zu sein, anders lassen sich die mehrfach fehlenden Schlußbuchstaben (Mem, Nun II 13.46, dort ist der ganze Ausdruck fehlerhaft), die ins Auge springende, da sinnverdrehende Vertauschung von Bet und Nun (II, 13) oder auch die irrtümlich vom 1. Band stehengebliebene Bezeichnung des Umschlagbildes, kaum erklären. Mängel sind störend und ärgerlich, aber weder die genannten noch die ungenannten können letztendlich das „Lesevergnügen“ an diesen wichtigen und höchst interessanten und zudem brillant geschriebenen Briefen entscheidend schmälern. Bleibt zu hoffen, daß neben diesen Briefen auch Scholems umfangreiche hebräische Korrespondenz einen Verleger finden möge, auch wenn diese größtenteils „in den spezifischen Bereich seiner wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiet der Kabbalaforschung“ gehört (I, 496) und somit vor allem für ein Fachpublikum von Interesse ist.

*) Gershom Scholem, Briefe I, 1914-1947. Hg. von Itta Shedletzky. Verlag C. H. Beck, München 1994. XV, 525 Seiten. Gershom Scholem, Briefe II, 1948-1970. Hg. von Thomas Sparr. Verlag C. H. Beck, München 1995. XXVII, 351 Seiten.



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