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Weltgebetstag am 4. März 1994

Stellungnahmen

  

In ca. 180 Ländern wird am 4. März 1994 der Weltgebetstag gefeiert, zu dem Frauen aller Konfessionen einladen. Seit dem Sommer 1993 ist die Diskussion über den Text zum Weltgebetstag entfacht. Wer den Text nur oberflächlich liest, kann vielleicht nicht verstehen, warum die Positionen so weit auseinanderdriften. Warum fühlen sich Juden angegriffen, wenn doch nicht einmal (im Gebetstext) die Namen Israel, Israelis oder Juden fallen? Doch wer ist gemeint, wenn es heißt: „Ob durch die Gasse der Via Dolorosa in Jerusalem oder durch die Straßen anderer besetzter Städte — überall folgen Mütter ihren mit Handschellen gefesselten Söhnen und Töchtern und versuchen, sie mit ihren Tränen zu trösten.“ Eine einzige Anklage gegen Juden und Israel, ohne daß die Leiden der Jüdinnen und Juden auch nur erwähnt werden, die ihnen und Palästinensern von Palästinensern angetan werden.
Die Auseinandersetzung bringt die verschiedenen Standpunkte ins Bewußtsein.

Red.

I. Auszüge aus der Liturgie

Mit dem arabischen Gruß „Salaam“, das heißt „Friede“, laden wir euch ein, mit uns zu beten. Wir Christinnen aus Palästina hoffen, daß wir miteinander gehen, sehen und handeln können, damit alle Menschen Liebe und Gerechtigkeit erfahren.

An euch ergeht der Ruf aus Palästina, diesem kleinen Fleckchen Erde im Nahen Osten, wo die drei monotheistischen Religionen — Judentum, Christentum und Islam — einander begegnen. Nun leidet unser Land Palästina schon fast drei Jahrzehnte lang unter Besetzung. Für uns und unsere Kinder suchen wir eine Zukunft in Gerechtigkeit und Freiheit, auf denen ein palästinensischer Staat aufgebaut werden kann. (S. 4)

Aus der Heiligen Stadt Jerusalem und im Geist der Versöhnung bitten wir euch, unsere Schwestern und Brüder überall auf der Welt, mit uns zu beten: Für eine gerechte und friedliche Lösung, die dem Leiden der Menschen ein Ende setzt und Sicherheit und Frieden für alle Völker in unserer Region schafft. (S. 5)

Mit vielen Müttern in Jerusalem und anderswo weinen auch wir über das Schicksal unserer Kinder, wenn sie bedroht sind und brutal und ungerecht behandelt werden. Dann wünschen sich Frauen oft, sie hätten keine Kinder . . . Ob durch die Gasse der Via Dolorosa in Jerusalem oder durch die Straßen anderer besetzter Städte — überall folgen Mütter ihren mit Handschellen gefesselten Söhnen und Töchtern und versuchen, sie mit ihren Tränen zu trösten. Kinder in Palästina und in anderen besetzten Ländern, denen man ihr Recht auf Selbstbestimmung verweigert, drücken auf unterschiedlichste Weise ihren Wunsch nach Freiheit für ihre Heimat aus. Dabei kommen viele von ihnen ins Gefängnis, werden gefoltert oder getötet. Den trauernden und schwarzgekleideten Müttern dieser Kinder ist es, als habe Christus auf seinem Weg zur Kreuzigung diese schmerzvollen Zeiten vorausgesagt. (S. 7)

Kommt, Frauen und Männer! Geht zu den Frauen aus Galiläa und Jerusalem und seht, wie die Welt um sie herum verwirrt und verunsichert ist. Kommt und hört die bitteren Schreie derer, die leiden und gedemütigt werden. (S. 8) Kommt, seht die Not und den Schmerz der zerrissenen Familien, wenn ihnen die gefolterten und entstellten Leichname ihrer Lieben zurückgegeben werden. Kommt, weint mit den Familien, die ihre Toten nicht würdig begraben dürfen. (S. 9)

Schwestern und Brüder, wir beten darum, daß wir sehen und handeln können wie Josef von Arimathäa und wie die Frauen aus Galiläa. Wo auch immer Leiden und unmenschliche Behandlung herrschen, ist es die Aufgabe der örtlichen wie der weltweiten Kirche zu sehen und zu handeln. Als Volk Gottes haben wir die Pflicht, überall in der Welt menschliches Leben zu schützen und müssen protestieren,
wenn Menschen wegen ihrer Herkunft und ihrer Hautfarbe verachtet werden . . .
Wenn Menschen wegen ihres Glaubens verfolgt werden . . .
wenn Menschen aus politischen Gründen unterdrückt werden . . .
wenn Menschen sozial benachteiligt werden ... (S. 10)

Wie die Frauen im Evangelium haben palästinensische Frauen dazu beigetragen, das Wort vom Frieden in der Region auszubreiten. Sie haben die Hoffnung aufs Überleben und auf Gerechtigkeit und Frieden lebendig erhalten.

Alle, die in Ländern mit Krieg und militärischer Besetzung leben, wissen, was Menschen zu erleiden haben, denen grundlegende Menschenrechte verweigert werden. Wir werden nicht als Menschen angesehen, die nach dem Bild Gottes geschaffen wurden . . . Im Geist des auferstandenen Christus sind wir zu einem neuen Leben und einer immer wieder erneuerten Hoffnung aufgerufen. Wir wollen unsere Furcht abschütteln und handeln. Der auferstandene Christus ist die Quelle unserer Kraft. (S. 13)

Gott, zeige uns, wie wir als Nachbarn miteinander leben, einander verstehen und achten können. Wir bitten dich, daß für das palästinensische Volk eine gerechte und verständnisvolle Lösung gefunden wird. (S. 14)

II. Pnina Navi Levinson

Frauen laden weltweit ein, für „Frauen aus Palästina“ zu beten. Gutwillige verkannten zunächst das politische Programm. Sie hörten, daß „Stimmen aus Jerusalem“ gemeinsam zur Versöhnung aufrufen. Aber das . . . Programm sowie das Begleitmaterial zum Weltgebetstag 1994 zeigten, was gemeint ist: In „180 Ländern“ soll Israel im Klischee der Christusmörder erscheinen. Der Anklang an die Passionsgeschichte weckt die Bilder des Judenhasses bei allen, die die Lehre von den bösen Juden verinnerlicht haben. Israel, der Judenstaat, tritt an die Stelle aller Juden. Das Umdenken einiger Kirchen nach dem Holocaust hat nur wenig geändert, eine neue Theologie der Zuwendung anstelle von Ablehnung und Verachtung hat kaum Einfluß . . . Die Gebetsordnung ist so geschickt mit antijüdischen Assoziationen durchsetzt, daß leichte Änderungen am Text nichts verbessern. Denn seit der Kindheit sind die Bilder im Kopf: Wie Maria weinen Araberinnen in den Straßen der Jerusalemer Altstadt, wie Jesus werden ihre Söhne grundlos geschlagen, wie römische Rohlinge sind israelische Soldaten. Kein Wort, daß Maria und die anderen Weinenden Jüdinnen waren und Jesus ein Jude. Kein Wort von der Bedrohung Israels. Statt dessen: Ein Aufruf zum Handeln als Motto. All dies erfuhren im Juli in Jerusalem die Teilnehmerinnen aus 14 Ländern beim Frauenseminar des Internationalen Rates der Christen und Juden (ICCJ). Christliche Araberinnen aus Jerusalem hörten erstmals davon und lasen betroffen die Texte. Eine von ihnen hätte mit den Autorinnen gesprochen — nun war es zu spät. Eine andere hätte für den arabischen Studenten aus Betlehem beten lassen, der in der dortigen Universität von vermummten Arabern bestialisch umgebracht wurde. Alle hätten für jene Araberinnen gebetet, die wegen der „Familienehre“ von Angehörigen hingerichtet wurden, und für jene israelischen Frauen, Kinder und Männer, die von arabischen Gegnern des Friedensprozesses ermordet wurden.

Aber das wurde von vornherein verhindert. Denn das Leitbild der Liturgie für den Weltgebetstag 1994 ist die auch in Deutschland bekannte Palästinensische Befreiungstheologie. Sie sieht in den lokalen Arabern die Nachkommen der kanaanäischen Ureinwohner — obwohl die meisten um 1900 einwanderten, als Juden kamen und Arbeitsplätze schufen. Sie geht konform mit der PLO, deren Verfassung die Vernichtung Israels fordert und die Juden dort hinschicken will, wo sie herkamen, nach Teheran, Syrien oder Auschwitz zum Beispiel.

Für die Palästina-Befreiungstheologie steht die irdische Intifada, die Bekämpfung Israels, als Parallele zur „himmlischen Intifada“, der Inkarnation Christi. In den Worten einer Jerusalemer christlichen Araberin: Wir müssen päpstlicher sein als der Papst, weil wir als Minderheit Angst vor moslemischen Fanatikern haben; daher müssen wir christlichen Araber am lautesten gegen Israel schreien. Das also war die Konspiration. Und dagegen empören sich Menschen des Friedensprozesses in vielen Ländern. Sie wollen und können eine solche Instrumentalisierung ihres Glaubens nicht mitmachen. Nicht mit Gebeten, nicht mit Filmen und Büchern, die gegen Israel aufrufen. Denn sie wollen mit Juden und Arabern für den Frieden wirken.

Dr. Pnina Navé Levinson ist jüdische Theologin. Sie arbeitet im Internationalen Rat der Christen und Juden (ICCJ).

III. Bischof Karl Lehmann

. . . Die Gottesdienstordnung dieses Tages ist von einer Gruppe palästinensischer christlicher Frauen erarbeitet worden. Es hat darüber eine Kontroverse gegeben, die dem Anliegen des Weltgebetstags der Frauen abträglich ist. Kritik ist vor allem von Frauen und Gremien vorgetragen worden, die am christlich-jüdischen Gespräch beteiligt sind. Auch jüdische Stimmen haben Fragen und Einwände geäußert. Die vorgebrachte Kritik verdient es, beachtet und bei der Vorbereitung auf die Gestaltung des Weltgebetstages berücksichtigt zu werden:

— Die Gottesdienstordnung ist aus der Situation des aktuellen israelisch-arabischen, näherhin israelisch-palästinensischen Konfliktes heraus formuliert worden. Die Frauen, welche die Struktur und die Aussagen des Gottesdienstformulars erstellt und zusammengestellt haben, haben dies aus ihrer Verbundenheit mit ihrem palästinensischen Volk getan. Sie beziehen sich auf ihre Erfahrungen und Bedrängnis, Not und Unterdrückung. Aber es gibt auch die Erfahrungen und die Ängste der jüdischen Frauen und Mütter, die unter ihren Angehörigen Opfer der Gewalt und des Terrors beklagen müssen.

— Das Gottesdienstformular verknüpft heutige Leidenserfahrungen palästinensischer Frauen mit dem Leidensweg Jesu nach Golgota, auf dem er Frauen von Jerusalem begegnete. Glauben und Leben gehören zusammen, eigene Lebenserfahrungen wollen im Licht der Heiligen Schrift verstanden und gedeutet werden. So identifizieren sich die palästinensischen Frauen mit den weinenden Frauen am Passionsweg Jesu und drücken ihre Trostbedürftigkeit aus. Dieses „Schulter an Schulter“ (vgl. Zef 3,9) heutiger palästinensischer Frauen mit den jüdischen Frauen am damaligen Passionsweg Jesu könnte freilich überlagert werden durch eine unglückselige Parallelität: Wie eine undifferenzierte Sicht die Verantwortung für Leiden und Tod Jesu dem jüdischen Volk allgemein anlastete — eine Sicht, die der neue Katechismus der Katholischen Kirche (Nr. 597) nachhaltig korrigiert —, so könnte die Not des palästinensischen Volkes in historischer und politischer Verkürzung Israel allein zugeschrieben werden. Die Gefahr einer solchen Parallelisierung sollte gesehen, bewußt gemacht und vermieden werden.

— Die palästinensischen Frauen bitten ihre Schwestern und Brüder im Glauben überall auf der Welt um das Gebet „für eine gerechte und friedliche Lösung, die dem Leiden der Menschen ein Ende setzt und Sicherheit und Frieden für alle Völker in unserer Region schafft“. Ein wichtiger Schritt dazu ist das gemeinsame Bemühen von PLO und Israel auf dem Weg zur Verständigung. An diesem in die Zukunft weisenden Schritt sollte sich das Gebetsanliegen dieses Weltgebetstags der Frauen vorrangig orientieren.

Es entspricht der Tradition und Übung des Weltgebetstages, daß die vorgelegte Gottesdienstordnung von den Frauen an dem jeweiligen Ort ergänzt und in Auslegung und Fürbitten vertieft wird. Der erwähnte Ansatzpunkt sollte dieser erste Schritt der Verständigung von Palästinensern und Juden sein . . .

In der Gestaltung und Feier des Weltgebetstages sollte bekräftigt werden, was die Vorstände der deutschen Komitees in ihrem Begleitwort der Gottesdienstordnung auf den Weg geben: Es „widersetzen sich Weltgebetstagsfrauen jeglichem Antisemitismus und sind durch den Rechtsradikalismus zu besonderer Wachsamkeit herausgefordert. Als Christinnen ist uns bewußt, wie sehr Antijudaismus in Theologie und Kirche dem Antisemitismus den Weg bereitet hat und wieviel hier in unseren Gemeinden noch aufzuarbeiten ist.“ Dieser Aufarbeitung wegen sei eine umsichtige und verantwortungsvolle Vorbereitung des nächstjährigen Weltgebetstages in den Gemeinden sehr empfohlen . . .

Bischof Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, an die Frauengruppen der Vorbereitung des ökumenischen Weltgebetstags der Frauen 1994.

IV. Landesbischof Klaus Engelhardt

Die Veröffentlichung der Texte für den Weltgebetstag der Frauen 1994 fällt in eine Zeit, in der in unerwarteter Weise Bewegung in die erstarrten politischen Fronten des Nahen Ostens gekommen ist. Hoffnungen keimen auf, daß doch ein Weg gefunden werden könnte, der zu einem friedlichen Miteinander der Völker führt. Der Weg ist voller Gefahren. Darum sind wir aufgerufen, gerade jetzt für den Frieden und eine Verständigung im Nahen Osten zu beten, die Juden wie Palästinensern ein Leben in gerechten und sicheren Grenzen ermöglicht.

Die Texte, die für den Weltgebetstag der Frauen 1994 vorbereitet worden sind, sind freilich in einer Zeit entstanden, in der das Existenzrecht des Staates Israel als Heimat der Juden und die Ansprüche und Rechte der Palästinenser noch in einem scheinbar unversöhnlichen Gegensatz miteinander standen. Zur verantwortlichen Benutzung vorgegebener gottesdienstlicher Formulare gehört es, die Formulierungen unter theologischen, sprachlichen und situativen Gesichtspunkten zu prüfen und, wo dies erforderlich oder hilfreich zu sein scheint, abzuändern oder zu ergänzen (Hervorhebung Red.). Dabei muß dann auch die Kritik bedacht werden, die von jüdischer wie von christlicher Seite an den für 1994 zur Verfügung gestellten Texten geäußert worden ist. Die Not und Bedrückung, die palästinensische Frauen erlebt haben und erleben, machen es begreiflich, daß ihre Bedrängnisse in den Vordergrund treten. Aber nach allem, was Synoden unserer Landeskirchen im Blick auf ein neues Verhältnis zum Judentum und zu Israel gelernt und bekannt haben, kann der Weg Jesu nach Golgota auf den Gassen der Via Dolorosa nicht allein als Schmerzensweg palästinensischer Frauen und Mütter auf den Straßen der besetzten Städte interpretiert werden. Aus der Perspektive von außen kann nicht unberücksichtigt und unausgesprochen bleiben, daß umgekehrt auch israelische Frauen Not und Bedrängnis von palästinensischer Seite erfahren, daß Bürger des Staates Israel palästinensischem Terror ausgesetzt waren und sind und daß über Jahrzehnte und — zumindest teilweise — bis zum heutigen Tage das Existenzrecht des Staates Israel von Vertretern der palästinensischen Sache in Frage gestellt und bestritten wird. Darum unterstreiche ich, was die Vorstände der deutschen Weltgebetstagskomitees Ost und West in ihrer „Erklärung zum Weltgebetstag der Frauen 1994 aus Palästina“ ausgeführt haben: „Wenn wir diesen Weltgebetstag feiern, sind wir als deutsche Frauen in besonderer Weise betroffen . . .“

Es ist nicht zu verkennen, daß sich die palästinensischen Frauen, von denen die Texte des Weltgebetstags 1994 stammen, einsetzen „für eine gerechte und friedliche Lösung, die dem Leiden der Menschen ein Ende setzt und Sicherheit und Frieden für alle Völker in unserer Region schafft.“ Noch ist der Konflikt im Nahen Osten bedroht von tödlicher Gewalt. Noch zeichnet sich eine friedliche Lösung erst in Ansätzen ab. Die Weiterentwicklung und Verstärkung dieser Ansätze ist darauf angewiesen, daß diejenigen Palästinenserinnen und Palästinenser Unterstützung erfahren, die — wie in den Texten des Weltgebetstags 1994 — beten und dementsprechend leben und wirken: „Gott, zeige uns, wie wir als Nachbarn miteinander leben, einander verstehen und achten können.“ Wir hören das dankbar und haben Anlaß, auch als Deutsche darin voll einzustimmen.

Dennoch sollten in unserer Situation in Deutschland — angesichts unserer unheilvollen Geschichte — die Klarstellungen, die die deutschen Weltgebetstagskomitees in ihren Erklärungen und im Predigtvorschlag anbieten, sowie die oben vorgetragenen Gesichtspunkte nicht nur im Begleitmaterial, sondern auch im Gottesdienst selber ausgesprochen werden. Es ist nötig und hilfreich und den Anliegen des Weltgebetstags förderlich, wenn auch im Gottesdienst gesagt wird:

— Wir treten für das Existenzrecht Israels und das Lebensrecht des jüdischen Volkes im Lande seiner Väter ein. Das bedeutet nicht, daß wir über die Klagen der palästinensischen Frauen, die unter Bedrückung leiden, hinweghören.

— Wir sehen, daß es in den Konflikten auf beiden Seiten Leid und Opfer gegeben hat, die unsere Solidarität und unser Gebet brauchen. Wir begrüßen es deshalb, wenn von beiden Seiten Schritte der Verständigung und Annäherung getan werden, und verstehen diesen Gottesdienst als einen solchen Schritt.

— Wir wissen, daß Kritik an bestimmten politischen Maßnahmen und Verhaltensweisen des Staates Israel nicht mit Antisemitismus und Antijudaismus gleichzusetzen ist. Wir wissen aber auch, wie leicht sich damit unheilvolle Vorurteile verbinden können. Wir unterstreichen deshalb: Dieser Gottesdienst ist nicht gegen Israel und die Juden gerichtet, sondern darauf gerichtet, daß Frieden und Gerechtigkeit einkehren und allen Menschen im Nahen Osten zum Segen werde.

Ich halte es für gut, wenn die Gemeinden in den Gliedkirchen auf diese Gesichtspunkte eigens aufmerksam gemacht werden, die aus historischen und aus aktuellen Gründen bei der Vorbereitung des kommenden Weltgebetstages von Wichtigkeit sind . . .

Dr. Klaus Engelhardt ist Ratsvorsitzender der EKD

V. Deutsches Weltgebetstagskomitee Ost und West

In der letzten Zeit haben verschiedene Gruppen und einzelne Persönlichkeiten öffentlich die Gottesdienstordnung des Weltgebetstags 1994 bewertet. Viele der Stellungnahmen und Pressemeldungen wurden ohne Kenntnis der deutschsprachigen Fassung der Ordnung und ohne Würdigung des gesamten Textes abgegeben, so daß es bedauerlicherweise zu einseitigen Interpretationen und unzutreffenden Unterstellungen kam. Andere Kritikerinnen befürchten allein wegen der Verwendung von Passionstexten durch die Palästinenserinnen die Gefahr des Antijudaismus. Deshalb sehen sich die beiden deutschen Weltgebetstagskomitees Ost und West auf ihrer gemeinsamen Sitzung in Erfurt veranlaßt, sich zu den aktuellen Auseinandersetzungen zu äußern.

Im ökumenisch gefeierten Gottesdienst zum Weltgebetstag kommen in jedem Jahr Christinnen zu Wort, die sonst wenig Öffentlichkeit haben. In diesem Jahr haben christliche Palästinenserinnen, die sich von den christlichen Kirchen weithin vergessen fühlen, ihre Anliegen in einem Gottesdienst formuliert.

  1. Die Palästinenserinnen beschreiben ihre Wirklichkeit.
    Sie beziehen dabei Frauen und Mütter in aller Welt mit ein, die in ähnlichen Situationen in der ganzen Welt sind. Sie laden ausdrücklich alle ein zum Gebet für eine gerechte und friedliche Lösung, die „Sicherheit und Frieden für alle Völker in unserer Region schafft.“
  2. Die christlichen Palästinenserinnen interpretieren ihre Situation mit Texten der Passion und Auferstehung Jesu. Die drei Tage von Kreuzweg, Tod und Auferstehung sind die Folie dafür — ähnlich wie das Hungertuch der Misereor-Fastenaktion 1992, das lateinamerikanische Leiden als Teil des Kreuzwegs Jesu buchstäblich ausmalte. Die liturgische Entsprechung ist die Feier des Karfreitags, des Karsamstags und des Ostersonntags. Auch die Gestaltung der Auferstehungshoffnung mit den Kerzen entspricht der Feier der Osternacht mit dem Licht der Osterkerze und der Weitergabe des Osterlichts an die Gläubigen.
  3. Die liturgischen Traditionen der Ostkirchen, die in anderen Jahren ja sehr selten vertreten waren, prägen die diesjährige Weltgebetstagsfeier.
  4. Den Frauen liegt es fern, einen politischen Konflikt (zwischen Israelis und Palästinensern) als religiösen Konflikt zwischen Juden und Christen auszugeben (wobei die muslimische Mehrheit der Palästinenser völlig ausgespart würde). Dies wird durch die Auswahl der Bibelstellen deutlich. Sie haben gerade nicht die Stellen ausgewählt, die traditionell antijudaistisch interpretiert wurden. Sie wählten z. B. als Text für die Grablegung die Lukasstelle 23,49-56. Dies ist ein Text, der die jüdische Herkunft der Jüngerinnen Jesu betont und den Juden Josef als Vorbild beschreibt. Sie identifizieren sich mit den weinenden Frauen am Weg, nicht mit Jesus. Sie fühlen sich als die trostbedürftigen Frauen, denen Jesus begegnet.
  5. Die Frauen setzen mit ihrer politischen Haltung ein deutliches Zeichen für Frieden. Sie treten für einen Staat Palästina neben Israel ein und stellen das Existenzrecht des Staates Israel nicht in Frage. Die palästinensischen Frauen wissen sich dabei in Übereinstimmung mit israelischen Frauen- und Friedensinitiativen. Sie nennen jedoch sie nicht ausdrücklich, weil sie sie nicht für sich vereinnahmen wollen.
  6. Die deutschen Weltgebetstagskomitees haben durch die Auswahl des Titelbildes die Unterstützung für all die Gruppen zum Ausdruck gebracht, die palästinensisch-israelische Zusammenarbeit gewagt haben. Der palästinensische Künstler Sliman Manzour gehört einer Initiative von israelischen und palästinensischen Künstlern an, die schon 1988 einen symbolischen Friedensvertrag unterschrieben und eine gemeinsame internationale Ausstellung durchgeführt haben.

Bei der Übergabe jeder Weltgebetstagsordnung bemühen sich die beiden Komitees, die Authentizität des ursprünglichen Textes zu bewahren. Die Stimme der „fernen Schwestern“ soll zuerst gehört und nicht durch eigene Interpretationen ersetzt werden.

Zugleich ist jede Weltgebetstagsordnung der Beginn eines Prozesses. In den Gottesdiensten wird die Liturgie jedes Jahr von den Frauen vor Ort durch selbstgestaltete Teile wie Information, Verkündigung und Fürbitten vertieft. Darin wird auch unsere vergangene und gegenwärtige Verstrickung in die Situation benannt werden können. Dafür stellen die deutschen Komitees vielfältige Materialien zur Verfügung.

Um gottesdienstliche Texte, die für den (ökumenischen) Weltgebetstag der Frauen vorbereitet wurden, ist ein heftiger Streit entbrannt. Der Gottesdienstordnung, die von einer Gruppe palästinensischer Frauen entworfen wurde, wird politische Einseitigkeit und unterschwelliger Antijudaismus vorgeworfen. Die deutschen Verantwortlichen für den Weltgebetstag haben diese Vorwürfe zurückgewiesen.

VI. Wie für den Frieden in der Welt beten?

Manfred Plate

Ein Streit um den „Weltgebetstag der Frauen“

Der Weltgebetstag der Frauen, der seit vielen Jahren im Vorfeld des Osterfestes Millionen von Frauen in aller Welt zu einem gemeinsamen Gottesdienst vereint und auch in Deutschland eine sehr starke Resonanz erfährt, ist durch ein Gottesdienstformular in große Schwierigkeiten geraten. Nicht irgendwelche Querulanten, sondern Menschen, die sich auch bei unbequemen Anlässen nicht das kritische Denken verbieten lassen, werfen den Texten dieses Gottesdienstes zumindest unterschwellig antijüdische oder antiisraelische Tendenzen vor. Die Verantwortlichen des Weltgebetstages wiederum weisen diese Vorwürfe entschieden zurück: die Texte seien keineswegs antisemitisch . . .

Es geht um einen Text, den christliche Palästinenserinnen für die Gottesdienste an diesem Tag, der im März 1994 gefeiert werden soll, verfaßt haben. Es ist seit langem Brauch, daß diese Gottesdienst-Ordnungen, die dann in aller Welt in verschiedenen Übersetzungen benutzt werden, jeweils von einer Frauengruppe eines bestimmten Landes vorbereitet, formuliert und vorgelegt werden. Dies hat zur Folge, daß man auch religiös „mit den Augen der anderen“ sehen lernt und begreift, daß Gott in verschiedenen Sprachen spricht. Die besonderen Nöte dieser oder jener Region werden eingebunden in unsere eigene religiöse Existenz. Wenn Lateinamerikanerinnen oder Koreanerinnen, Inderinnen oder Afrikanerinnen einen „Weltgebetstag“ formulieren, dann steht eben etwas anderes im Vordergrund, als wenn dies US-Amerikanerinnen oder Westeuropäerinnen tun. Der Verfremdungseffekt ist heilsam, manchmal recht schmerzlich, wenn zum Beispiel unsere satte westliche Welt in bitterer Schärfe und grundsätzlich in Frage gestellt wird. Bisher haben wir gewisse Einseitigkeiten — wie wir sie empfinden — durchaus ertragen, wenn nicht der Zaun der Liebe durchbrochen wurde und ungehemmter Klassenhaß zum Ausdruck kam . . .

Alle werden eingeladen

Wenn man nun die Texte liest, die eine offenbar prominente Frauengruppe verfaßt hat (wir kennen die Verfasserinnen nicht mit Namen), dann ist ohne Zweifel ihr Bemühen zu erkennen, haßerfüllte Worte zu vermeiden, Versöhnung anzustreben, Frieden und Gerechtigkeit für alle zu fordern. Hierin ist den Verteidigern dieser Gottesdienstordnung recht zu geben . . .

Wer nun das Gottesdienstformular objektiv prüft, wird diese Erklärungen und Erläuterungen nicht bestreiten können. Aber leider ist damit eben nicht alles gesagt. Denn bei allem Wohlwollen und allem Verständnis muß man nach der Lektüre der zwölf Seiten dennoch zugeben, daß auch die Kritiker durchaus recht haben.

„So bedauern wir außerordentlich . . . “

Schon im Juli hatte sich eine Gruppe von christlichen und jüdischen Frauen bei einem Treffen in Jerusalem, welches das Thema „Frauen und Versöhnung — das Ideal und die Realität“ behandelte, mit den Texten zum Weltgebetstag befaßt. Sie gehören dem „Internationalen Rat der Christen und Juden“ an, der etwas später in Haifa zu seiner Generalversammlung zusammentrat und sich dann das Votum dieser Frauen zu eigen machte. Sie schrieben in einer Erklärung:

„Im Kontext unserer Erfahrung fühlen wir uns bewegt, unsere Enttäuschung und Betroffenheit über den Text des nächstjährigen Weltgebetstages der Frauen für den Frieden auszudrücken . . . Wir fürchten, daß dieses Gebet in seiner gegenwärtigen Form der Sache des Friedens und der Versöhnung schadet. Wir haben von den Schmerzen unserer palästinensischen Schwestern gehört und nehmen Anteil daran. So bedauern wir außerordentlich, daß dieses Gebet sich nicht auf das Leiden oder die Solidarität all derer bezieht, die in den Konflikten des Mittleren Ostens leiden müssen . . . “

Diese Erklärung, die insgesamt verständnisvoll und versöhnlich geschrieben ist, geht dann auf die sehr problematische Verwendung biblischer Passionserzählungen im Gottesdienst ein, tatsächlich ein heikler und peinlicher Punkt: die Leiden Jesu und der damaligen „Frauen von Jerusalem“ werden nahezu mit denen des palästinensischen Volkes heute identifiziert. Daher forderte das Jerusalemer Frauen-Komitee, „daß dieser Gebetstext nochmals bedachtsam überlegt wird. Wir hegen die Hoffnung darauf, daß dieses Gebet, bevor es für den weltweiten Gebrauch übernommen wird, ein Gleichgewicht erhält, das die Schmerzen all derer anerkennt, die gelitten haben, einschließlich der Israelis, der Juden und palästinensischen Araber, und daß es sich auf alle Gemeinschaften bezieht, die für den Frieden arbeiten und dafür die Risiken tragen . . .“

Und die jüdischen Mütter

Der israelische Journalist Ulrich W. Sahm meinte: „Den Palästinenserinnen mag zugestanden werden, daß sie in einem tiefen Konflikt mit ihrer eigenen Religion stehen und deshalb keinen Psalm ausgewählt haben, in dem Israel oder Zion erwähnt wird. Aber das Verschweigen der Tatsache, daß Jesus Jude war und auch die Frauen auf der Via Dolorosa jüdisch waren, wirkt befremdend . . . Die einseitige Darstellung des Leidens palästinensischer Mütter von Kindern in Handschellen (vgl. Seite 7 der deutschen Ausgabe) ist Propaganda . . . Warum werden nicht auch jüdische Mütter erwähnt, deren Kinder auf der gleichen Via Dolorosa von sogenannten palästinensischen Freiheitskämpfern mit Messern erstochen oder mit Granaten oder Bomben in die Luft gejagt werden? In diesem grausamen Konflikt leiden beide Seiten. Wenn in einem Gottesdienst ausgerechnet die emotionale Seite hervorgehoben wird, das Leiden der Mütter, dann verdienen die Mütter beider Seiten Erwähnung.“

Der Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Deutschland hat schließlich gefordert, „in dieser Einseitigkeit darf am 4. März 1994 nicht in christlichen Kirchen gebetet werden“. Dem kann man nur zustimmen und die Gemeinden bitten, diese 1,3 Millionen Texte nicht zu benutzen oder sie in dem eben genannten Sinn selbst zu ergänzen. Kein Gottesdienst sollte gehalten werden, bei dem nicht auch der Leiden der israelischen Mütter gedacht wird. Es ist unverständlich, daß vom deutschen Komitee zum Weltgebetstag in den letzten Wochen nicht schon eigene konkrete Vorschläge dafür gemacht wurden.

M. Plate ist Chefredakteur der Wochenzeitschrift „Christ in der Gegenwart“. Sein Beitrag ist erschienen in der Nr. 43 vom 24.10.93 und wird hier gekürzt wiedergegeben


Jahrgang 1 / 1994/95 Seiten 126-137


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