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Bericht: Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden

Unter diesem Titel fand die „Woche der Brüderlichkeit 1993“ in einer gemeinsamen Wochenendtagung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Aachen e. V. und der Bischöflichen Akademie Aachen statt, zu der Akademiedirektor Dr. Hans Hermann Henrix zahlreiche Teilnehmer begrüßen konnte.

Fast zwei Jahrtausende verkündete das Christentum seine Glaubensinhalte, oftmals losgelöst aus dem Kontext der jüdischen Tradition, und mißbrauchte zu ihrer eigenen Hervorhebung sogar die Mutterreligion als Negativfolie.

Professor Dr. J. P. Boedemaker aus Amsterdam sah einen entscheidenden Durchbruch in der vom Judentum losgelösten Christologie im 16. Jahrhundert durch die Aussage Martin Luthers gegeben, „daß Jesus Christus ein geborener Jude sey“.

Der jüdische Referent Professor Dr. Ernst Ludwig Ehrlich aus Riehen/Schweiz hob hervor, daß das Judentum im Gegensatz zum Christentum keine Dogmatik besitzt. Ein Dogma ist ein sich Festlegen am Buchstaben. Das Judentum dagegen lebt aus dem Kommentar, wodurch die heilsgeschichtlichen Ereignisse der Bibel jeweils an eine Epoche angepaßt werden können.

Sein evangelischer Kollege, Professor Dr. Friedrich-Wilhelm Marquardt, habe etwas völlig Neues in die christliche Dogmatik hineingebracht, nämlich den Juden Jesus. Das heißt, wenn bis jetzt nur der historische Jesus in seinem Judesein herausgestellt worden ist, so hat Friedrich-Wilhelm Marquardt ihn als Juden in der christlichen Dogmatik entdeckt.

Im Mittelpunkt der Tagung standen darum auch die beiden neuesten Bücher des bekannten evangelischen Dogmatikers Friedrich-Wilhelm Marquardt „Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden“ und „Von Elend und Heimsuchung der Theologie“. Der Autor stellt in den beiden Werken über die historische Ebene hinaus das Judesein Jesu als eschatologische Wahrheit dar und deckt innerhalb der christlichen Dogmatik ganz neue Zusammenhänge auf.

Durch die Einbettung der Christologie in die jüdische Tradition ist die jahrhundertelang Antijudaismen verursachende „Theorie“ der „Beerbung“ des Judentums durch das Christentum beseitigt worden. Ehrlich würdigte in diesem Zusammenhang auch Papst Johannes Paul II., der den ungekündigten Bund Gottes mit dem Volk Israel stets betont und als erster Papst in der Geschichte die Bedeutung des Talmuds hervorgehoben hat.

Der Schwerpunkt der Ausführungen von Marquardt war die Möglichkeit einer Theologie nach Auschwitz. Der Holocaust hat die Erfahrung Gottes und das Sprechen von ihm unter anderen Kategorien als seiner Barmherzigkeit erfolgen lassen. Über dieses gemeinsame Dilemma des Judentums und des Christentums hinaus muß nach Auschwitz auch das ausschließlich christliche Dogma der Menschwerdung Gottes neu überdacht werden. Da das Judesein Jesu die zeitlich begrenzte historische Ebene übersteigend auch im Chalkedonese vorhanden ist, entsteht die schmerzliche Frage, ob dieser Jesus nicht im Massenmord der Schoa (hebr. völliges Verbrennen) selber zusammen mit den sechs Millionen aus seinem Volk umgekommen sei. Doch man hat die Möglichkeit, Jesus im Überleben Israels — und dazu gehört auch die Gründung des jüdischen Staates — zu sehen.

Jesu Menschwerdung ist nicht nur im engen biologischen Sinn zu verstehen, sondern beinhaltet auch die Zugehörigkeit zu der Kultur und Tradition des jüdischen Volkes, gab Weihbischof Dr. Stanislaw Gadecki aus Gnesen/Polen zu bedenken. Dies werde an vielen Stellen der Hebräischen Bibel und des Neuen Testaments ausdrücklich betont. Es ist die Rede vom Sohn Abrahams und Sohn Davids und Pilatus nennt Jesus im Johannesevangelium einen Juden. Weihbischof Gadecki wies auf die Jesusworte hin „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen“ (Mt 5,17). In diesem Zusammenhang bedeutet das Wort „erfüllen“, „den Sinn der Tora zu zeigen“.

Akademiedirektor Hans Hermann Henrix nannte Weihbischof Gadecki einen „Brückenbauer“ des osteuropäischen christlich-jüdischen Dialogs. Weihbischof Gadecki weiß, daß die Zahl der polnischen Juden gering ist, darum muß der christlich-jüdische Dialog in Polen zweigleisig vonstatten gehen, im Lande selbst und mit jüdischen Dialogpartnern aus dem Westen.

nach: Bericht von Monika Beck


Jahrgang 1 — 1993/94 Seiten 63-64

 



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