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Petuchowski, Jakob J., Thoma, Clemens

Lexikon der jüdisch-christlichen Begegnung

Herder, Freiburg 1989. gebunden. 256 Seiten

Rezension

Die Alleinverfasser dieses Buches, seit vielen Jahren in vorderster Linie im jüdisch-christlichen Dialog engagiert, legen ein Gemeinschaftswerk vor, wie es bisher in dieser Art noch keines gegeben hat. Es ist von Anfang an durch gegenseitige Prüfung der Beiträge in der Überzeugung entstanden, daß historische Kenntnisse und theologisches Wissen vermehrt und vertieft werden müssen, wenn die weitere Zusammenarbeit der Religionen gedeihen soll. Über dieses angestrebte Ziel hinaus sind sich der jüdische und der christliche Autor der Glaubensverantwortung für die konsequente Fortsetzung des Gesprächs zwischen beiden Religionen in der heutigen Welt bewußt. Für das Christentum steht dabei mehr auf dem Spiel, ist es doch unwiderruflich in den älteren, ersten Gottesbund mit dem erwählten Israel eingepflanzt (Röm 11,18).

Welcher Anstoß für den Bibelwissenschaftler und Judaisten Thoma von der Judenerklärung des Konzils ausgegangen ist, zeigen die von ihm behandelten Stichworte. Theologische Leitbegriffe wie Erwählung, Christus/Christologie, Dialog, Eschatologie, Schöpfung, Reich Gottes bestimmen, was der Verfasser selbst das „jüdisch-christliche Bundesbewußtsein“ nennt. Dies setzt einerseits eine umfassende Kenntnis der Glaubensgeschichte des Judentums voraus und andererseits die Einsicht, daß sich auch die christliche Heilsbotschaft in sich wandelnden geschichtlichen Situationen bewähren muß. Zwar trennt der christliche Glaube und dessen Erlösungsverständnis die Christen von den Juden, aber dieser schwerwiegende Unterschied darf nicht dazu führen, Gottes ungekündigten Bund mit den Juden (Röm 11,29) in nachchristlicher Zeit abzuschwächen. Unter dem Stichwort Auschwitz heißt es dazu: „Die Kirche verneinte den andauernden Bund Gottes mit diesem Volk und erhob sich als Alleinherrscherin über dasselbe.“ Was das im 20. Jh. bedeutet, ist zum Beispiel aus dem Vergleich der Stichworte Akeda und Holocaust zu lernen.

Der jüdische Autor Petuchowski behandelt die mit dem ersten Begriff gemeinte Opferung Isaaks. Er geht zunächst der Auslegungsgeschichte dieses Opferganges in der jüdischen Tradition nach, grenzt den Opfertod Jesu vom alttestamentlichen Bericht ab und wirft dann die Frage auf, mit welchem Recht der Holocaust mit der Akeda-Theologie in Verbindung gebracht werden könnte. Nach Gen 22 wurde Isaak nicht geopfert, durch den Naziterror aber wurden große Teile des europäischen Judentums vernichtet. Es wäre gefährlich, so betont Petuchowski, die Deutung dieses entsetzlichen Geschehens auf die theologische Ebene zu verschieben und uns so von der Frage nach der menschlichen Verantwortung zu suspendieren. Thoma spricht unter dem Begriff Erwählung von der „Erwählungsgemeinschaft“, die Juden und Christen verbinden sollte, eine biblisch fundierte Forderung, die innerhalb der Kirche fast nie erfüllt wurde. „Daß es trotz andauerndem menschlichen Versagen das erwählte Volk Gottes nach wie vor gibt — das ist grundlegende jüdische und christliche Glaubensüberzeugung —, ist einzig der Treue Gottes und seiner Überlegenheit über die Bundesbrüche der Menschen zuzuschreiben.“

Nach Thoma kann es keine Theologie des Holocaust geben, im Gegenteil: Es wäre ein Akt menschlicher Vermessenheit, dieses Geschehen „bewältigen“ zu wollen. Jüdische und christliche Heilserfahrung stehen weiterhin im Schatten des uralten Theodizeeproblems. Darüber hilft keine theologische oder philosophische Zulassungstheorie über die fortwirkende Macht des Bösen in der Geschichte hinweg. Weil der Begriff Theodizee nicht behandelt wird und es auch keinen eigenen Artikel über das Böse gibt, werden die Gründe für die Unlösbarkeit dieser bedrängenden Frage menschlicher Existenz nicht erläutert.

Welche Annäherung zwischen Judentum und Christentum sich im Zeitalter des Dialogs angebahnt hat, beweisen unter anderem die Artikel zu den Stichworten: Bund, Christologie, Dialog, Götzendienst, Schöpfung. Bund, Bundesschluß, Bundesbruch und Bundeserneuerung bezeichnen eine wesentliche, nicht nur jüdische Glaubenserfahrung. Das Geheimnis der geschichtlichen Führung Israels (Ex 3,14) ist die Treue Gottes von Generation zu Generation, die in dieser Welt nur als bezeugte besteht (Jes 44,8.21; Mt 28,15-20). Der ethische Monotheismus der biblischen und rabbinischen Tradition hebt die hohe mitmenschliche Verantwortung für die Wirksamkeit der göttlichen Heilszusage hervor. Dies gilt uneingeschränkt auch für die Christgläubigen, denn Gottes- und Nächstenliebe sind nach dem Neuen Testament untrennbar. Dazu sagt Thoma: „Sie müssen Christus so in sich tragen und den Völkern verkünden, daß alle Menschen das ihnen entgegenkommende Heil auch als Befreiung aus menschlicher Unterdrückung und Willkür erahnen und so befähigt werden, gegen antijüdische und gegen menschliche Gewalt resistent zu werden und sozial gerechtere menschliche Ordnungen zu schaffen.“ Wenn Petuchowski seinen Beitrag zum Begriff Götzendienst mit den folgenden Sätzen schließt, so erkennen wir darin eine jüdische Entsprechung zur geschichtlichen Erprobung des Glaubens: „Was heutzutage Juden und Christen in der Ablehnung des Götzendienstes vereint oder vereinen sollte, ist die auf biblischer Basis gründende Überzeugung, daß nur Gott selbst absolut ist und daß jegliche Verabsolutierung von etwas, das nicht Gott ist, sei es Staat, Nation, politisches System und selbst Kirche und Synagoge usw., eine Form der ,abhoda zarah', d. h. des ,fremden Dienstes', des Götzendienstes repräsentiert.“ Diese Erkenntnis setzt die biblische Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen im spannungsreichen Verhältnis zum Gebot voraus, daß sich der Mensch kein Bild von Gott machen soll. Durch die fehlende Auslegung dieser Spannung, die konstitutiv für das Menschsein ist, fällt im Lexikon auch das Begriffspaar Mythos/Entmythologisierung aus.

Am stärksten treten jüdisch-christliche Gemeinsamkeiten im Artikel Schöpfer/Schöpfung (Thoma) hervor. Die Urpositivität des Geschaffenen, die absolut freie, voraussetzungslose Schöpfertat des Gottes Israels überstrahlt alle Finsternisse der nachparadiesischen Weltverfassung. Die geschichtliche Welt, erlösungsbedürftig wie sie ist, bleibt jeden Augenblick auf das Wunder der fortbestehenden Schöpfung angewiesen. Davon spricht dankbar und erhebend das jüdische Morgengebet: „Weltenherrscher, Bildner des Lichts und Schöpfer der Finsternis, Stifter des Friedens und Schöpfer des Alls, der in Barmherzigkeit das Licht leuchten läßt für die Erde und ihre Bewohner und der in seiner Güte jeden Tag beständig das Werk der Schöpfung erneut. ,Herr, wie groß sind deine Werke (Ps 92,6)! Sie alle hast du mit Weisheit geschaffen. Voll ist die Erde von deinen Gütern.'“ Der schöpfungsfeindlichen Gnosis widersetzten sich die Rabbinen und die Kirchenväter, ohne viel voneinander zu wissen. Sie verteidigen mit Gen 1-2,3 die ursprüngliche Güte der Schöpfung, die für das Christentum durch die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazaret ihre letzte Besiegelung erhält, obwohl die Schöpfung nach Röm 8,20-22 noch unter der Last der Vergänglichkeit stöhnt. Wenn Judentum und Christentum als „Religionen der Weltlichkeit“ bezeichnet werden, dann ist, wie es geschieht, die antignostische Grundhaltung dieser Weltbejahung gegen die spirituelle Flucht aus der Geschichte zu bekräftigen. Zu fragen bleibt, in welchem Verhältnis diese Weltlichkeit zum neuzeitlichen Prozeß der Säkularisierung steht, ob die viel gebrauchte und mißbrauchte Rede von der „weltlichen Welt“ nicht seit Descartes philosophische Vorentscheidungen enthält, die das fundamentale Verhältnis zwischen Schöpfung und moderner Welterfahrung auch aus dem Blickfeld der theologischen Besinnung rückten.

Bei einer wünschenswerten Neuauflage dieses wichtigen Werkes müßte die Nomenklatur um Begriffe wie: Atheismus, Ethik, Freiheit, Heilsgeschichte, Gottebenbildlichkeit, Menschenrechte, Mythos, Natur, Ökologie, Religion, Religionsphilosophie, Weisheit, Verantwortung erweitert werden.

So informativ und traditionsbewußt dieses Lexikon ist, in seinem größeren christlichen Anteil vermittelt es christliche Selbstkritik an der Seite und gegenüber dem Judentum. Es zeigt genau und eindrucksvoll, wie widersinnig eine kirchliche Heilsgewißheit ist, die sich gegen die Juden, die ersten Zeugen der geschichtlichen Treue Gottes, richtet. Dadurch wird der Blick frei für die letzte Einheit der biblischen Verheißungsgeschichte, für die allen Völkern in allen Sprachen (Jes 44,6; 66,18; Apk 14,6) in andauernder Unheilsgeschichte dennoch zugesprochene Rettung.

Walter Strolz


Jahrgang 1 — 1993/94 Seiten 59-62


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