Freiburger Rundbrief Freiburger Rundbrief
    Leseproben > Rezensionen ab Jg. 2001 > 1372  

Home
Leseproben
Artikel ab Jg. 2001
Rezensionen ab Jg. 2001

Inhalt Neue Folge
Archiv Neue Folge

Inhalt der Jg. vor 1993
Archiv vor 1986

Gertrud Luckner
Bestellung/Bezahlung
Links
Artikel
Mitteilungen
Rezensionen
 
XML RSS feed
 
 
Display PRINT friendly version
Katrin Löffler

Keine billige Gnade

Siegfried Theodor Arndt und das christlich-jüdische Gespräch in der DDR

Dieses Buch berichtet über die bewegende Lebensgeschichte des evangelischen Pfarrers Siegfried Theodor Arndt (1915–1997). Er machte den christlich- jüdischen Dialog zu seiner Lebensaufgabe und gilt als einer seiner führenden Vertreter in Ostdeutschland. Seit 1971 hatte er in Leipzig die Arbeitsgemeinschaft Kirche und Judentum (http://jcha.de/) geleitet, die auf eine lange judenmissionarische Vorgeschichte zurückblickt.

Arndt setzte sich dafür ein, die Zielsetzung im Sinne des Dialogs neu zu formulieren. So gewann er das Vertrauen der jüdischen Gemeinde in Leipzig, mit der er zahlreiche Projekte veranstaltete, die weithin Beachtung fanden. Gemeinsam mit seinem jüdischen Mitstreiter Helmut Eschwege wurde Siegfried Arndt im Jahr 1984 mit der Buber-Rosenzweig-Medaille geehrt –, dies war das erste Mal, dass diese renommierte Auszeichnung an zwei DDR-Bürger verliehen wurde. Aus Arndts Biografie lässt sich vieles über die Besonderheiten des christlich-jüdischen Dialogs in der ehemaligen DDR lernen.

Arndt wurde auf einem Gutshof in der Nähe von Leipzig geboren. Seine Familie war konservativ, deutschnational und lutherisch geprägt. Sein Vater, ein erfolgreicher Gutsbesitzer, Fuhrunternehmer und Feuerwehrmann, war eine unumstößliche Autorität in der Familie und im Dorf. Unter dem Einfluss dieses Umfelds wurde Arndt in seiner Jugend ein bekennender Nazi. Er war Mitglied in der Hitlerjugend und in der NSDAP und kämpfte als Soldat mit leidenschaftlicher Überzeugung für den Sieg Hitlers. 1947 wurde er aus der englischen Gefangenschaft entlassen, blieb jedoch noch bis 1951 als Angestellter der Engländer bei der Einheit in Bad Salzuflen. 1949 hatte sein Antrag auf Entnazifizierung Erfolg; Arndt wurde dabei zugute gehalten, dass er niemals jemanden denunziert hatte und dass seine Verbindung mit dem Nationalsozialismus bei ihm „ganz offensichtlich auf dem von Unerfahrenheit bedingten Glauben an die Ehrlichkeit des nationalsozialistischen Programms und an die Lauterkeit der damaligen politischen Führerschicht“ beruhte (248).

Im Gegensatz zu den meisten seiner Zeitgenossen hat Arndt dies jedoch nie zu seiner Verteidigung benutzt. Er schreibt in seiner Autobiografie: „Meine Entnazifizierung habe ich nie als Persilschein verstanden. Ich war Nazi und wollte das nicht beschönigen. Ich musste mir selbst über mich Klarheit verschaffen“ (249). Löffler bemerkt dazu im Vorwort: „Seine ju- gendliche Begeisterung für den Nationalsozialismus, die ihm bis zum Lebensende Schuldgefühle verursachte, ist exemplarisch für Millionen Deutsche. Seine Selbstprüfung, der kathartische Prozess, den er durchlief, und der Ernst, mit dem er die Konsequenzen zog, lassen ihn als Ausnahme erscheinen. Vor vielen Menschen seiner Generation in Ost und West zeichnete ihn aus, sich keine wohlfeile Selbstabsolution zu erteilen, sondern den eigenen Irrwegen nachzugehen, auch wenn es schmerzte“ (9).

In den Jahren nach Kriegsende hatte Arndt zur christlichen Erweckungsbewegung gefunden. Er entschloss sich, Pfarrer zu werden, und studierte in Bethel und Mainz Theologie (20 Jahre zuvor hatte er bereits ein Journalistik- Studium an der Universität in Leipzig absolviert). 1957 heiratete Siegfried Arndt die 18 Jahre jüngere Marga Flemming und trat seine erste Pfarrstelle in Freital an. Es folgten Stationen in Frohburg und 1968 schließlich in Leipzig. Wegen seiner religiösen Haltung und seiner Distanz gegenüber dem sozialistischen Staat geriet Arndt mit manchen Gemeindegliedern in Konflikt; seit dem Jahr 1967 wurde er durch die Staatssicherheit überwacht. Schon im Laufe seines Studiums hatte sich Arndt immer mehr für ein Umdenken gegenüber dem Judentum geöffnet; wegweisend waren zwei Studientagungen über Kirche und Judentum, veranstaltet vom Deutschen Evangelischen Ausschuss für Dienst an Israel.

Drei Jahre nach seiner Rückkehr in seine Heimat Leipzig übernahm er dort den Vorsitz bei der Arbeitsgemeinschaft Kirche und Judentum. Nicht zuletzt aufgrund seiner journalistischen Begabung gelang es ihm, neue Referenten und Mitglieder zu gewinnen und die Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft bekannt zu machen. Es gelang ihm, nach und nach auch jüdische Kooperationspartner einzubeziehen und das christlich-jüdische Gespräch damit auf eine ganz neue Grundlage zu stellen. Insbesondere durch seine Freundschaft mit Eugen Gollomb (1917–1988), dem Vorstandsvorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Leipzig, wurde Arndts Wirken entscheidend geprägt.

Gemeinsam mit Gollomb initiierte er am 40. Jahrestag der Reichspogromnacht in der Leipziger Thomaskirche einen Gedenkgottesdienst und förderte in der Evangelischen Kirche in der DDR den Prozess der Erinnerung und Versöhnung. Dabei grenzte er sich von der staatlich geförderten Erinnerungskultur ab, welche die Judenverfolgung für ihre eigene Propaganda instrumentalisierte. Gedenkgottesdienste und Vortragsreihen für eine breite Öffentlichkeit gehörten seitdem zum Programm der Leipziger Arbeitsgemeinschaft Kirche und Judentum und fanden immer mehr Interesse. Ein nachhaltiger Bewusstseinswandel wurde zudem durch mehrtägige Seminare für kirchliche Mitarbeiter angestrebt.

All dies wurde unter schwierigen äußeren Bedingungen verwirklicht, denn die Arbeit musste aus privaten Spenden finanziert werden. Kommunikation, Reisen, Unterkunft und Verpflegung stellten immer wieder praktische Herausforderungen dar. All dies zu bewältigen war nur möglich dank der Unterstützung von Arndts Frau und seinen drei Kindern. Arndt übte seine Tätigkeit als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Kirche und Judentum aus, bis er mit 67 Jahren in den Ruhestand trat. Die folgenden Jahre waren geprägt von familiärem Glück, von zunehmender körperlicher Schwäche und Krankheit und von Arndts langersehnter Reise nach Israel – ein Wunsch, den er sich trotz aller politischen Widerstände erfüllen konnte.

Genau genommen besteht das Werk aus zwei Teilen: aus einer von der Autorin Katrin Löffler verfassten Biografie, und aus einer Autobiografie, die Arndt auf Initiative von Löffler begonnen hat, aber nicht zu Ende schreiben konnte, – und so hat Löffler seine Geschichte zu Ende erzählt. Als junge Frau war sie Arndt bei Vorträgen der Leipziger Arbeitsgemeinschaft begegnet und mit ihm ins Gespräch gekommen – ein Gespräch, das sie über Jahre hinweg nicht mehr losgelassen hat, und sie schließlich dazu bewegte, das Gehörte aufzuschreiben. Abgerundet wird dieses lesenswerte Buch durch zahlreiche Fotos zur Zeitgeschichte und durch einen sorgfältig bearbeiteten Anhang mit tabellarischem Lebenslauf und Registern.

Jutta Koslowski, Gnadenthal


Jahrgang 20 /2013 Heft 3 S. 222–224

 



top