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Archiv vor 1986 > 950 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Karl Thieme5. Das Mysterium Israels (I. Teil)Gottes Wort über die Juden in Pauli RömerbriefDie eingehendsten Ausführungen über das Schicksal und die Zukunft des nachchristlichen Judentums im Neuen Testament sind die Kapitel, die das Mittelstück in des Heidenapostels Paulus Brief an die Römer bilden. Die bedeutenden Sondererklärungen zu diesen Kapiteln aus der Feder von F. W. Maier und von E. Peterson sind z. Z. im Buchhandel vergriffen. Von ihnen und andern Kommentatoren (wie O. Kuß und M. J. Lagrange OP) ausgehend ist ein verhältnismäßig knapper neuer Kommentar geschaffen worden, der in einigen Jahren im Rahmen einer Übersetzung und Erklärung des ganzen Neuen Testaments publiziert werden soll. Inzwischen scheint es aber wünschenswert, die erwähnte Lücke zu füllen und im Interesse aller ernsthaft um die Erkenntnis des göttlichen Heilsplans mit Juden und Heiden Ringenden diesen Versuch einer genauen Übersetzung und Erklärung des so häufig missverstandenen Textes zu veröffentlichen. (In der vorliegenden Doppelnummer 5/6 bringen wir die erste Hälfte von Text und Kommentar; der Rest soll noch innerhalb der II. Folge unsres Rundbriefs erscheinen, so dass deren Bezieher die Arbeit vollständig erhalten. Für Bibelstudienkreise ist später die Herstellung eines Sonderdrucks beabsichtigt, der bei Bezug einer größeren Anzahl verbilligt abgegeben werden kann. Subskriptions-Einladung folgt in Nr. 7 bzw. Nr. 8). Das Herzstück des Römerbriefes widmet der Apostel der Heiden
dem Schicksal der Juden, seiner Blutsverwandten: Auch als verstocktes
ist und bleibt Israel das Volk der Verheißung (9,1–5); dass Gott
seinen Fall zuließ, begründet keinen Vorwurf gegen Ihn
(9,6–33), erklärt sich vielmehr durch Israels eigene Schuld von
der menschlichen Seite (10,1–21) und von der göttlichen durch
einen gnadenüberreichen Heilsplan für Heiden und Juden
(11,1–32), der Staunen, Lob und Preis wachruft (11,33–36). 1. Paulus betrachtet und betrauert das Mysterium des verstockten Israel (9,1–5)„Wahrheit rede ich in Christus, ich lüge nicht, mein Gewissen bezeugt es mit mir im Heiligen Geist, dass meine Trauer groß ist und unablässiges Weh (in) meinem Herzen. Denn ich wünschte wohl, (im) Bann ich selbst von dem Christus hinweg zu sein für meine Brüder, meine Stammverwandten dem Fleisch nach; die da Israeliten sind; deren die Annahme an Sohnesstatt ist und die Glorie und die Bundesvermächtnisse und die Gesetzgebung und die Liturgie und die Verheißungen; deren die Väter sind und aus denen der Christus ist, soweit er dem Fleisch nach ist, Der da ist über alle, Gott, benedeit in die Ewigkeiten. Amen“ (V. 1–5). Dass die Juden sich binnen wenigen Jahrzehnten zu den erbittertsten Feinden eben jener Heilsbotschaft entwickelt hatten, die doch ganz ursprünglich gerade für sie bestimmt war und ihnen allein Rettung bringen kann, das hatte der Apostel der Heiden mit scharfen Worten ausgesprochen, wo es ihm nötig schien (1. Th 2,15 f.; vgl. unten 11,28). Umso stärker und überdies, wohl angesichts möglicher Missverständnisse, wie sie bei Juden und Christen seiner Haltung zum eigenen Volk nur allzu häufig begegnet sind (vgl. Apg 21,28; 24,5), mit größter Feierlichkeit bezeugt nun Paulus in der Verbundenheit mit dem, der die Wahrheit ist, und in Übereinstimmung mit der Stimme seines in der Gegenwart des göttlichen Geistes der Wahrheit befragten Gewissens, wie sein innerstes Herz wirklich gegenüber denen empfindet, denen er dem Blute nach Bruder ist (V. 1). Er trauert tief um sie; ihr dunkles Los schmerzt ihn beständig; ja, er hätte – ähnlich wie Moses (Ex 32,32) – gewünscht, selbst dem Anathema zu verfallen, von der Gemeinschaft mit dem Christkönig ausgeschlossen zu werden, wenn er damit die Eingliederung seiner jüdischen Brüder in diese Gemeinschaft hätte erkaufen können (V. 2–3). Und nun, einerseits wohl zur Begründung seiner weit mehr als bloß natürlich-fleischlichen Liebe zu seinem Volke, andererseits wie zur Bestärkung der tröstlichen Gewissheit, dass es nicht für immer verloren sein kann, zählt er alle die Privilegien auf, die den Juden gehören und verbleiben, wenn auch erst ihre Umkehr zum Christkönig dieselben wieder voll in Kraft treten lassen wird (V. 4–5). Es handelt sich um neunerlei: Sie sind Israeliten; soweit er dem Fleische nach wahrer Mensch ist, Er, der zugleich wahrer Gott ist, alles regierend und ewigen Lobpreises würdig, auch als Retter Seines Judenvolkes, wie sich im weiteren noch zeigen wird. Im einzelnen besagt das: Der Ehren-Name ‚Israel’, Gottes-Streiter, den Jakob am Ende seines Ringens mit dem Engel erhielt (Gen 32,29), bezeichnet ein für allemal das Volk, das nicht aufhört, um Gott zu ringen und zu eifern, wenn auch jetzt oft mit fleischlichem Unverstand und dementsprechenden Misserfolg (9,31; 10,2 f.). Weiter: Unter allen Menschen sind und bleiben diese Israeliten in besonderer Weise von Gott an Sohnesstatt angenommen (Ex 4,22; Dtn 14,1; Os 11,1). Das hat der Herr selbst sehr deutlich zu verstehen gegeben (Mk 7,27 par; vgl. Lk 15,31); und daran haben – im Sinne der Unwiderruflichkeit göttlicher Gnadenratschlüsse (11,29), die nur suspendiert nicht aufgehoben werden können, auch die Apostel festgehalten (11,23 f.; 2 Kor 3,15 f. etc.). Wenn Paulus weiter den Juden die ‚Glorie’, die ‚Herrlichkeit’ zu eigen erklärt, so ist dabei zunächst zweifellos mit den meisten neueren Erklärungen an das Erscheinen der Gottes-Herrlichkeit im Allerheiligsten zu denken (Ex 40,34; 3 Kön 8,10 f.); darüber hinaus aber vor allem, wie etwa Thomas bezeugt, an die dadurch vorgebildete künftige Herrlichkeit (Is 4,5 f.), an welcher die endlich bekehrten Juden (Is 4,4) in einzigartiger Weise teilhaben werden, wie es für die Zeit nach ihrer Heimkehr ins Land Israel von Gott durch den Propheten Ezechiel verheißen ist (36,22 ff.). Entsprechend ist bei den ‚Bundesvermächtnissen’ nicht nur an den Gottesbund der Vergangenheit zu denken (am Sinai, vom Volke aus erneuert am Berg Ebal Jos 8,30 ff.); sowie gegenüber Abraham Gen 15,18; 17,2), sondern durchaus auch an die Verheißung des Neuen Bundes (Eph 2,12), der nur darauf wartet, dass auch die Juden sich in ihn aufnehmen lassen. Erst dann wird ihnen wahrhaft gehören, was nun in der Herzmitte
dieser Aufzählung folgt: das Gesetz, weil ja erst der Christus
dessen letzter Sinn ist (10,4), in welchem Gottes Geheiß und
Verheißung erfüllt und allen Gutwilligen erfüllbar
wird. Wahrscheinlich hat eben darum der Dass ihnen weiterhin auch Gottes unumstößliche Verheißungen eignen, wiewohl vor der Wendung zu Christus nur wie ein Hort in verschlossener Truhe dem, der den Schlüssel dazu verloren hat, wird noch wiederholt betont (11,1 f., 11.15.24.26.29.31). Dass die Patriarchen „die Väter“ vor allem den Juden gehören, hat schon der Herr sehr deutlich ausgesprochen (Joh 4,22). Und so stammt denn seiner Menschheit nach wesensnotwendigerweise aus ihrer Mitte auch der Messias (vgl. etwa Lk l,32 f.). Dass, statt dessen Gekommensein in der Person Jesu anzuerkennen, die Juden den Weg des falschen Messianismus, der Barabbas und Bar Kochba, verfolgen, das eben hat den guten Israeliten Paulus mit so tiefem Leid erfüllt wie etwa in unseren Tagen der falsche Messianismus der Deutschen den guten Deutschen Theodor Haecker in seinen ,Tag- und Nachtbüchern’. Und darum hat der Apostel jenen fast ungeheuerlichen ‚Wunsch’ aussprechen können, um der Rettung der Brüder willen selbst die Verlorenheit zu tragen; wozu Chrysostomus schreibt: „So sehr beherrschte die Liebe seinen Geist, dass er, um Christus zu gefallen, selbst das verschmähte, was von allem das Liebenswerteste ist, nämlich mit Christus vereint zu sein; ja, auch das Himmelreich, welches als die Belohnung der Mühsale erschien, hätte er um Christi willen gern verlassen.“ Wenn einst die Heidenchristen dieser Gesinnung ihres Apostels – und wahrlich erst recht seines Herrn! – von ganzem Herzen nacheifern und dadurch auch den Juden erleichtern zu erkennen, dass dieser vermeintlich Abtrünnige der treueste Jude war, dann ist der Tag nahe, wo sie und wir „eine Herde werden, und ein Hirte“, wie es verheißen ist (Joh 10,16). Anmerkung 2. Gott begnadet und verhärtet, wen und wozu Er will (9,6–29)Um den Gedankengang gerade dieses zweiten Abschnitts nicht so misszuverstehen, wie er nur allzu häufig missverstanden worden ist, darf man keinen Augenblick vergessen, dass Paulus hier ausschließlich von ‚Völkern’ sowie Volks-Gruppen (Juden, Edomitern als Esau-Stamm etc.) und deren heilsgeschichtlicher Rolle spricht, nicht aber von einzelnen Individuen und ihrem Heil. Alles kreist darum, die zentrale Aussage (9,30 f.) zu erklären: Dem Gesetz, dessen Erfüllung Gerechtigkeit verbürgt, hat das Volk der Juden vergeblich nachgeeifert, – während den dafür blind gewesenen Heidenvölkern jene Gerechtigkeit durch die Glaubenshingabe an den Gesetzes-Erfüller (Christus 10,4) geschenkt ward. – Zunächst nun wird die souveräne Freiheit Gottes herausgearbeitet, die Werkzeuge und Zeichen Seines Erbarmens wie auch Seines Zornes völlig unabhängig von irgendwelchen Rechtsansprüchen derselben auszuwählen. a) Gottes Gnadenwahl, nicht Menschenleistung bestimmt
verheißungsgemäß über die Rollenverteilung in der
Heils-Geschichte (9,6–13) Zunächst beseitigt der Apostel den beunruhigendsten Gedanken, den die Ablehnung des Heils durch die große Masse derer, denen es bestimmt war, hervorrufen konnte: Sollte gar Gottes Verheißungswort an Israel hinfällig geworden sein? (V. 6a). Die Antwort, die freilich erst 9,24 ff. vorläufig und 11, 1–5.25 ff. endgültig positiv ergänzt wird, lautet zunächst rein negativ: Nein, schon darum weil „nicht alle aus Israel“, nicht alle Menschen jüdischer Abstammung wirklich im vollen Sinne ‚Israel’, d. h. Verheißungserben sind, nicht alle leiblich aus dem „Samen Abrahams“ Erzeugten auch geistliche echte ‚Kinder’ Abrahams, schon darum beeinträchtigt der Ausfall massenhafter Menschen aus Israel in keiner Weise den Wahrheitsgehalt der Verheißungen für ‚Israel’ im vollen Sinne dieses Wortes (V. 6b–7a). Das wird nun sogleich zwingend bewiesen: Wenn Gott dem Abraham geradezu erklärte, nicht sein älterer Sohn (von der Hagar) Ismael, sondern allein Isaak (von der Sara) sei der Verheißungs-Spross (Gen 21,12), weil eben nur Isaak ausdrücklich als solcher angekündigt worden war (Gen 18,10.14), dann zeigt schon dies allein, dass Gott Sich die volle Freiheit vorbehält, unter den Nachkommen der Verheißungsträger als Verheißungs-Erben zu wählen, wen immer Er will (V. 7b–9). Vollends aber geht aus der Erwählung des zweitgeborenen Zwillings Jakob statt des zuerst ans Licht gekommenen Esau unter Isaaks und Rebekkas beiden Söhnen hervor, dass diese Gnadenwahl Gottes noch nicht das Allergeringste mit eigenem Verdienst oder Verschulden der dabei zum Antreten oder Nichtantreten des Erbes der Verheißung Berufenen zu tun hat, sondern nur mit des berufenden Gottes unerforschlichem Ratschluss (V. 10–13). Wie er denn schon im Alten Bunde den Israeliten ausdrücklich verbot sich einzubilden: „Um meiner Gerechtigkeit willen hat Er mich kommen lassen, dies Land zu ererben“ (Dtn 9,4). Weder haben die Juden das leiseste Verdienst daran, dass gerade sie zuerst auserwählt wurden, noch wir Heiden-Christen, dass dann vorwiegend aus uns das neue Gottesvolk der Kirche geschaffen ward. Anmerkung b) Gott hat diese Rollen-Verteilung ausdrücklich allein Seiner
Freiheit im Hinblick auf Seine Verherrlichung vorbehalten (9,14–23) Es mag eingewendet werden: Wenn also auch das Verheißungswort an Israel durch die Messias-Ablehnung der meisten Juden nicht außer Kraft gesetzt ist, bedeutet es nicht doch eine ungerechte Bevorzugung, wenn Gott immer wieder eine in keinem menschlichen Verdienst begründete Auswahl trifft? – Keinesfalls! – antwortet der Apostel (V. 14). Zwei Schriftworte bietet er zum Beweis. Das erste ist jene überaus feierliche Selbstoffenbarung Gottes gegenüber Moses, der für das in der Sinai-Wüste sündig gewordene Volk Fürsprache einlegt (V. 15–16). Gerade weil Gott hier Sein innerstes Wesen als grundlose Barmherzigkeit b stimmt (Ex 33,19 in Verbindung mit 34,6 f.), ist es vollkommen sinnlos danach zu fragen, ob denn solches Erbarmen, das Gott einem schenkt, auch ‚gerecht’ sei; es ist ja seinem Wesen nach eben nicht gerechter Lohn für selbsterworbenes Verdienst, für unser erst dadurch ermöglichtes „Wollen“ und „Laufen“ (Ph 2,13.16!), sondern überschwengliche Gnade, reines, freies Geschenk, für das der Geber keinem Rechenschaft schuldet (vgl. Mt 20,15). Niemand schuldet mehr Geschenke, als er selbst versprochen hat. Das zweite Schriftwort geht noch einen Schritt weiter (V. 17–18). In freier Abwandlung von Ex 9,16 (vgl. 10,1; 14,4.17) lässt Paulus Gott sagen, dass er den Israels Auszug aufhaltenden Pharao nicht nur, wie es dort heißt, ertragen, nein, geradezu als solchen ‚erweckt’, wachgerufen und aufgereizt habe, um an der glorreichen Überwindung dieses Widerstands vor aller Welt Seine Macht zu erweisen und Seinen großen Namen zu verherrlichen. Damit ist also klar offenbart, dass Gott Selbst es Sich vorbehält, an den Stellen der Geschichte, wo es Seinen Namen – eben jenen Namen, der Ihn als den grundlos Gnädigen kennzeichnet! – kundzumachen und preisen zu lassen taugt, Kreaturen auftreten zu lassen, die sich Ihm zu widersetzen suchen und eben dadurch die Machtentfaltung von Seiner Seite herausfordern, an der sie scheitern, Der Eingangs-Einwand ist also beantwortet: Für Sein Erbarmen mit den einen schuldet Gott wesensmäßig keine Rechenschaft; und Sein ‚Verhärten’ (genauer: Sich-verhärten-lassen) der anderen ist gerechtfertigt durch den Zweck, dem ihr Auftreten als Verhärtete dienen muss. Nun folgt aber ein zweiter Einwand: Wenn Gott bestimmte Kreaturen als Verhärtete auftreten lassen will, wie kann Er dieselben dann noch wegen der von Ihm Selbst gewollten Verhärtung tadeln? (V. 19). Paulus kann sich gegenüber Lesern, die mit ihm die Überzeugung teilen, dass Gott den Menschen als für seine trotz Gottes universaler Erst-Ursächlichkeit frei getroffenen Entscheidungen verantwortliches Wesen geschaffen hat (1,20 f.; vgl. Dtn 30,19 f.; Mich 6,8), mit der einfachen Antwort begnügen: Wenn du armseliger Mensch in deinem stets selbstverschuldeten Trotz von Gott irgendwo als Werkzeug bzw. „Gefäß“ Seines Zornes gebraucht wirst, welches Recht hast du dann, deinem Bildner zu widerreden? Bist du vor ihm nicht „Ton in des Töpfers Hand“? (Jer 18,6). Hat er nicht das souveräne Recht, dich völlig nach Seinem Gutdünken und Ratschluss zu verwenden? (V. 20–21). Und vollends, wenn Er nun sogar jene, die sich selbst das Zorngericht zuzogen – wie einst den Pharao so jetzt das trotzige Israel – zwar einerseits als ihrer Würde verlustige Gefäße eben jenes Zornes verwendet, andererseits aber auch in unendlicher Langmut geduldig erträgt (Israel bis zu jener All-Erbarmung, von der unten 11,25 f. die Rede sein wird!), statt sie sogleich dem Verderben anheimfallen zu lassen, für das sie an sich „reif“ (buchstäblich: zubereitet) wären, um gerade auch durch diese geheimnisvolle Duldung erst recht die Voraussetzung für das Offenbar-Werden Seiner Gnadenherrlichkeit an denen zu schaffen, deren Er Sich erbarmen will? (Wie 11,30–32 ausgeführt wird.) Wie dürfte da auch nur noch ein Wort der Widerrede laut werden? (V. 22–23). Anmerkung c) Außer dem ,Rest’ der Juden sind nun auch die Heiden laut der
göttlichen Verheißung als Erwählte berufen (9,24–29) Und wie auch Isaias vorhergesagt hat: Der Schleier fällt: Wer sind jene, von denen es eben hieß, dass Gott sie als Gefäße Seines Erbarmens von Ewigkeit her bereitet hat zur Teilhabe an Seiner Herrlichkeit? –Wir, jubelt Paulus, wir, die Er sowohl aus den Juden wie nun gar auch aus den Heidenvölkern dazu berief! (V. 24). Den Schrift-Beweis dafür, dass dieser Vorgang durchaus verheißungsgemäß war, wird nun in Ergänzung des rein negativen von 9,6 ff. positiv vollendet. Zunächst werden zwei Stellen, die beim Propheten Hosea (Osee) unmittelbar auf die abtrünnigen Nord-Israeliten gemünzt waren, in vertauschter Reihenfolge (erst Os 2,25 LXX: 2,23; dann 1,10, LXX: 2,1) als typologisch auf die Heiden-Berufung deutend erklärt; durchaus sinngemäß, denn von den Zeiten Abrahams und seiner Sippe an sind diejenigen, welche die Verehrung des wahren Gottes mit Götzendienst zuerst vermischen und schließlich vertauschen, als die ‚Heiden’ anzusprechen; wenn wir mit Paulus (1 Kor 10,11) und vor allem Jesus selbst (Lk 24,27.44) in allen Heiligen Schriften des Alten Bundes den Hinweis auf den Neuen suchen dürfen und sollen, so sprechen Buchstabe und allerweitester Sinngehalt dieser Prophetenworte wahrlich unzweideutig genug. Wenn nun vollends Paulus seine Zitierfreiheit durchaus nicht dazu benutzt, um im zweiten Zitat irgendwie zu verhüllen, dass dort ursprünglich dieselben Personen, denen zuerst die Gottesvolk-Eigenschaft abgesprochen worden war, gar als ,Gottes-Söhne’ wieder angenommen werden (und noch dazu „an dem Ort“ ihrer einstigen Verurteilung!), sollte da nicht – mit Theodor v. Mopsueste – angenommen werden dürfen, dass nun umgekehrt wie vorher durch die verheißene Versöhnung mit den Nord-Israeliten die mit den Heiden, hier durch die Sohnschafts-Annahme der Heiden die entsprechende Wiederannahme der Juden hindurchschimmert? (V. 25–26). Ausdrücklich ist vom ‚Israel nach dem Fleisch’ nun freilich erst in den beiden abschließenden Isaias-Zitaten die Rede (V. 27–29). Das erste (Is 10,22 f.) erklärt, dass für eine bestimmte Phase der Heilsgeschichte ohnedies nur ein ,Rest’ aus der Gesamtmenge der Söhne Israels für die Rettung vorgesehen war (Näheres dazu 11,2 f.). Das zweite (Is 1,9) bestätigt, dass durch die eigene Schuld Israel kein besseres Schicksal als Sodom und Gomorrha verdient hat, ihm aber wenigstens solch ein ,Rest’ von Gott übriggelassen ist, indem derselbe nun hier als ,Same’ bezeichnet ist, leuchtet wieder die unerschütterliche große Zukunftshoffnung durch. Anmerkung 3. Im Gegensatz zu den Heiden haben die Juden die Glaubens-Gerechtigkeit verfehlt, obwohl Gott sie darauf vorbereitete und dazu aufrief (9,30–10,21)Dieses innerste Herzstück des ganzen Römerbriefs spricht zunächst das ungeheure Paradox endlich mit dürren Worten aus: Dass das von den Juden gesuchte Heil zunächst den Heiden ungesucht zuteil ward (9,30–10,4), entwickelt dann ganz knapp, als wer dieses Heil in Person schon durch die Offenbarung im Alten Bunde hindurchleuchtet (10,5–10), und zeigt, dass Gott schon dort den Heilsweg bahnte, aber auch ankündigte, dass jenes Paradox bevorstehe. a) In Christi Person haben die Juden die eifrig gesuchte
Gesetzeserfüllung an die Heiden verloren, welche dieselbe gar
nicht gesucht hatten (9,30–10,4). Nicht ohne Zögern, das in der vorausgeschickten Frage zum Ausdruck kommt, spricht nun endlich der Apostel die heilsgeschichtliche Grundtatsache der Epoche zwischen Christi Himmelfahrt und Wiederkunft aus (V. 30–3l): Jene Heiden, welche in ihrer gewaltigen Masse weit davon entfernt waren, ernstlich um eine Daseinsform zu ringen, wie sie Gott als ‚gerecht’ offenbart hatte, sie haben plötzlich in großer Anzahl den Glauben geschenkt bekommen, der gerecht macht. (Wenn ihm die Auswirkung in der Liebe nicht fehlt; vgl. 13,10; Gal 5,6). Die Juden aber, welche ganz überwiegend mit leidenschaftlichem ,Eifer für Gott’ (10,3) jene in der Gesetzes-Offenbarung vorgezeichnete Gerechtigkeit verfolgten wie der Jäger das Wild, sie sind – „nicht zum Gesetz gelangt“. Dieser rätselhafte Ausdruck, ganz besonders alarmierend für den Juden, dessen beglückendstes Privileg ihm selbst gerade der Besitz des Gesetzes zu sein schien (s. o. zu 9,l–5!), wird verständlich, wenn im Schlusssatz des Abschnitts als ‚Endsinn’, gleichsam: Summe, des Gesetzes Christus enthüllt wird, auf den es als auf seinen Erfüller hinweist (10,5–10), und in dessen Nachfolge allein es für Menschen erfüllbar wird (10,l–4; vgl. l Tim 1,5). Indem die Juden diesem Jesus Christus die gläubige Nachfolge überwiegend verweigerten, durch die sie gerecht werden konnten, haben sie der fleischgewordenen Gottes-Gerechtigkeit, dem Gesetze in Person, den Gehorsam aufgesagt; sie haben diese Gerechtigkeit verkannt; ihr Eifer war – und ist solang sie daran festhalten – ein unerleuchteter; und die Fürbitte ist fast noch das Einzige, was Paulus in seinem Schmerze für sie tun kann (10,1; vgl. 9,3 und zu Mk 9,29!). Warum ist dies den Juden zugestoßen? Die doppelte Antwort lautet (9,32 f.; 10,3): Einmal, weil sie sich nicht zu jenem Hingabe-Akt des rein empfangenden Glaubens angesichts der Gesetzes-Sinn-Enthüllung im gekreuzigten und auferstandenen Christus entschließen konnten, sondern „wie aus Werken“, d. h. vermeintlich durch Anhäufung von Gesetzes-Erfüllungen (Mizwoth), gerechtfertigt werden wollten; das heißt aber andererseits: weil sie sich auf die ‚eigene’, unabhängig von zuvorkommender Christus-Gnade selbst erworbene Gerechtigkeit berufen zu können wähnten (vgl. Lk 15,29 f.; 16,15; 18,11 f.). Auf diese Weise hat sich das Wort des Propheten (Isaias 8,14) vom „Stein des Anstoßes“ erfüllt, als der Gott Selbst Sein Volk auf die Probe zu stellen angekündigt hatte; zusammen mit dem anderen Wort vom „köstlichen Eckstein“ (Is 28,16) – dass es derselbe Stein ist, betont Paulus, indem er diese Wendung durch die obige ersetzt! – welchen Gott auf dem Sionsberg als Fundament Seines lebendigen Tempels zu legen verheißen hat (Eph 2,20 ff.!); ihm und damit also letztlich Gott das gläubige Vertrauen zu schenken ist die Vorbedingung des Heils (9,33; 10,11). Anmerkung b) Erst Christus hat ja die Gerechtigkeit in greifbare Nähe des gefallenen Menschen gebracht (10,5–10) Dass letzter Sinn, Ziel und Erfüllung des Gesetzes erst in Jesus Christus offenbar, wirklich und für Menschen möglich geworden (10,4), das beleuchtet nun der Apostel durch zwei Sätze, die einander ergänzen. Einmal die unabdingbare Forderung der Gesetzes-Gerechtigkeit des Alten Bundes: Nur, wer nach dem Gesetze wirklich tut, wer es in seinem vollen Umfang hält, wird in der so erworbenen Gerechtigkeit das Leben haben (V. 5 gleich Lev 18,5; vgl. Gal 3,11 f.; 5,3). Dem Nachweis, dass unter dieser unabdingbaren Voraussetzung ohne Christus schlechthin alle Menschen des ewigen Todes wären, hat Paulus im ersten Teil des Briefes geführt. So lange er selbst sich unter dieser bei allem guten Willen unerfüllbaren Forderung (vgl. 3,9 ff.; Ps 14,1 ff.) wie unter einem Fluch befand (Gal 3,13) war auch dem Paulus das andere Wort wie ein Hohn erschienen, das die Nähe- und Leicht-Erfüllbarkeit des Gesetzes triumphierend verkündet (Dtn 30,12.14). Seither aber war es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen und nun wusste er’s (V. 6–10): Wenn dort gefragt ward, ob man etwa erst noch in den Himmel hinaufsteigen müsse, um die Lebens-Quelle zu finden, so deutete das im Mysterium schon darauf, dass der Christus ja vom Himmel gekommen ist, also nicht erst heruntergeholt zu werden braucht. Wenn als Gegenstück gemäß Ps 107 (LXX: 106,26) – auch gefragt werden mochte, ob man in den Höllen-Abgrund hinunter müsse, so lautete die Antwort: Christus ist ja schon „niedergefahren zu den Unteren und am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten (vgl. 1. P. 3,19.21 f.). Wenn es also bei Moses hieß: Nahe ist dir das Wort ..., dann war dies wahr, wirklich wunderbar wahr geworden, in Gestalt des Wortes vom Glauben an den auferstandenen Herrn, dessen in Liebe tätiges Bekenntnis (wie es der dritte Teil des Briefes 12,1 ff. entwickelt) uns die Rettung bringt. Anmerkung |
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